damals wenig herausragenden, und folglich auch nicht weiter erzählungswürdigen Ereignisses vermittelt, verändern nachfolgende Ereignisse diese frühere Wahrnehmung. Anders gesagt, zum Zeitpunkt der Umsiedlung entsprach die Akzeptanz der Optionsentscheidung des Ehemannes - welche in der Eheschliessung ihren Ausdruck findet - vollkommen den eigenen Wertvorstellungen an die Rolle der «guten Ehefrau». Diese bestanden nicht zuletzt darin, die Entscheidungen des Partners mit zu tragen, auch wenn dies Opfer für die Frau bedeutete. Die Wahrnehmung als Normalität liegt darüber hinaus in der Tatsache begründet, dass die Biographin durch mehrmalige Umzüge nach und innerhalb Südtirols bereits an Migrationen - wenn auch in anderem Stile - gewöhnt war und damit auf einen Wissensvorrat im Umgang mit Umzügen und mit Akkulturation zurückgreifen konnte.[26]
Aufgrund späterer Ereignisse stellt die Biographin diese Normalität heute in Frage. Das zentrale Ereignis für diese Reinterpretation ist der frühe Tod des Ehemannes in den letzten Kriegstagen. Dieser hatte den Entzug des emotionalen Bezugspunktes, des Schutzes vor Anfeindungen und Diffamierungen, aber auch die Notwendigkeit einer Neuorientierung - nunmehr als alleinstehende Mutter von drei Kleinkindern in einer fremdsprachigen Umwelt - zur Folge. Der Tod bedeutete für die Biographin einen traumatischen emotionalen Verlust, über welchen sie bis heute nicht hinweg gekommen ist. Nachträglich wird der Tod des Ehemannes im Lichte der Umsiedlung interpretiert: wäre die Familie nicht nach Österreich gekommen, wäre der Ehemann nicht in die Wehrmacht eingezogen worden und folglich auch nicht gestorben.[27] Durch diesen Verlust war Frau O. nunmehr in einer exklusiv fremdsprachigen und vielfach als fremd und abweisend empfundenen Umwelt auf sich allein gestellt. Gab es in Südtirol noch andere italienischsprachige Bewohnerinnen, so war diese Kommunikationsmöglichkeit durch die Umsiedlung entfallen, der Ehemann durch die Umsiedlung zum einzigen Kommunikationspartner der Frau geworden. Solange sie sich auf ihre Familie konzentrieren konnte, benötigte Antonia O. aber auch keine anderen Kommunkationspartnerlnnen. Die Distanzierung zur Aufnahmegesellschaft war unter anderem die Folge verschiedener Diskriminierungen. In der nationalsozialistischen Gesellschaft, welche weitestgehend auf «Rassen»-Unterschiede begründet war, bedeutete das «Anderssein» der Frau - das heisst Aussehen und Muttersprache - Anfeindungen und Diskriminierungen, ferner auch eine Gefahrenquelle. So wurde die Biographin beispielsweise mit dem Vorwurf der jüdischen Abstammung konfrontiert, ein