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Page:Labi 2009.djvu/231

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schaftlichen Betriebe nicht mehr für alle Menschen im Lande ausreichend Arbeit und Auskommen. Diese europaweite Entwicklung wurde in Südtirol durch die minderheitenfeindliche Politik des italienischen Faschismus noch verstärkt. Den SüdtirolerInnen waren seit Mitte der 1920er-Jahre Arbeitsplätze in der Verwaltung so gut wie verschlossen. Der Industrialisierungsschub, der mit dem Bau der Industriezone in Bozen ab Mitte der 1930er-Jahre einsetzte, war ebenso von politischen Kategorien bestimmt: Die Industriebetriebe sollten neben der Nutzung der Wasserkraft des Landes vor allem die Einwanderung italienischer Arbeitskräfte forcieren und somit zumindest die Landeshauptstadt Bozen zu einer auch in der Bevölkerungszusammensetzung italienischen Stadt machen. Die Auswirkungen dieser Politik liessen Südtirol bis in die späten 1960er-Jahre in einer beinahe vorindustriellen Phase verharren.

Das Schulwesen wurde geradezu zum Synonym für die faschistische Herrschaft in Südtirol. Durch die Italianisierung der Schulen verlor die schulische Bildung nicht nur bei weiten Teilen der Bevölkerung ihr ohnehin oft nicht sehr grosses Ansehen, auch eine weiterführende Ausbildung über die Pflichtschule hinaus reduzierte sich auf kleine soziale Kreise.

Die meisten Mädchen wuchsen zudem in einem zumeist bäuerlichen, sehr tradi- tionsgebundenen und patriarchalisch ausgerichteten Umfeld auf, in dem für sie nach Abschluss der Pflichtschule keine Ausbildung, etwa eine Lehre oder der Besuch einer weiterführenden Schule, vorgesehen war. Da die Bestimmung der Mädchen letztendlich die Heirat und damit die Rolle der Hausfrau und Mutter war, sollten sie sich bestmöglich auf die damit verbundenen Aufgaben vorbereiten -tein Rollenbild, das auch die örtliche Kirche immer wieder in ihren Presse- organen und über die Kanzel einforderte.[5] Ausserdem sollten sie bis zur Heirat möglichst ihren eigenen Unterhalt bestreiten, sich ihre Aussteuer beschaffen und darüber hinaus noch zum Unterhalt der Herkunftsfamilie beitragen. Letzteres war umso wichtiger, da die Familie sich oft nur durch den finanziellen Beitrag der Söhne und Töchter über die schwierige wirtschaftliche Lage der 1930er- Jahre hinweg retten konnte. Verschuldungen durch Neubauten, Renovierungen und den Erwerb von Grundbesitz, Vieh und Maschinen in der Aufbaueuphorie der Nachkriegsjahre hatten viele bäuerliche Familien in Südtirol an den Rand ihrer Existenz gebracht. Der Höhepunkt der Abwanderung in die italienischen Städte korreliert deutlich mit den krisenhaften 1930er-Jahren.

Somit gab es in Südtirol eine grosse Anzahl an unqualifizierten weiblichen Arbeitskräften. Der Tourismus, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine erste Blüte erreicht hatte und bald nach dem Ersten Weltkrieg wieder in