Venus/Kapitel V
V
Sie dehnte sich unter den Umarmungen eines neuen Geliebten: der Menge. Ein ununterbrochener Zug von Körpern, die Lust verhießen, ging durch ihr Schlafzimmer — von hageren, schmachtenden Körpern und gepflegten, athletischen; von den festen geschmeidigen Körpern der Mädchen und von den zartknochigen der Kinder mit schmelzendem Fleisch. Dem Fischer von Santa Lucia folgte der Clubman. Die warmgoldene Bauerndirn mit niedrigen dicken Brauen über den ruhigen Augen hinterließ den kräftigen Abdruck ihrer Formen in Kissen, worauf Lilian Cucuru sich ausstreckte; und auch sie und ihre kalte Vollkommenheit zerriß der schmerzliche Krampf einer ersten Sucht nach Hingabe und Aufgehen. Sir Houston fand sich bei der Herzogin ein und versicherte, seine Mutter habe es ihm erlaubt.
Andere Mütter schrieben Bittbriefe, oder sie kamen selbst und brachten Söhne und Töchter mit, deren Vorzüge sie rühmten. Im Casie Turco logen die eleganten jungen Leute einander von ihrem ungewöhnlichen Ruhme vor, erworben im Bett der Herzogin von Afsy. Abends im Volksgarten erzählte ein Halbnackter am Brunnen, wo er sich den Ruß der Arbeit vom Nacken wusch, den Gefährten ein Märchen mit blendenden Tiefen aus Gold, Edelsteinen und [ 237 ]Leckerbissen; und mitten darin ließ er ihren Namen funkeln. Unter ihren Möbeln vernahm sie beim Schlafengehen die Seufzer derjenigen, die ihre Diener bestochen hatten. Junge Fremde stellten sich ihr vor; sie waren weither gereist in der Hoffnung, ihr zu gefallen. Von ihr ausgezeichnet zu sein, galt als ein Anrecht auf Glück bei Frauen, ohne alle Unkosten, und auf eine vorteilhafte Heirat. Das in einer drängenden Luft erhitzte, gehetzte Liebesleben voll seltsamer Verfeinerungen, witziger Erfindungen und vom Altertum überkommener Stacheln — alles, was diefe Stadt der Lust durchfieberte an heißen Knaben, begehrlichen Matronen, ausgebotenen Kindern, geübten Frauen: die ganze schmälende, dunkle, peinigende Glut schlug zu einer hellen, heidnischen Flamme empor im Palast auf dem Posilippo.
Seine hohe und lange Halle sah zwischen Säulen hinab auf das Meer. Über die oben offenen Marmorwände fielen fchwere, tiefrote Gewebe: vor ihnen prangte das weiße Fleifch. Das bronzefarbene sonnte sich auf Behängen aus gelber Seide. Die Statuen fehlten in den Sälen; es gab keine in den Loggien und auf den Gartenwegen. Aber überall blühte, mit den großen Blumen, das Fleisch, das glänzende oder sanfte. Die Herzogin wünschte sich auf allen Treppenstufen und bei jedem Brunnen die frischen Gesten junger Glieder. Sie ließ Knaben und Mädchen in ihrer Nähe gedeihen, bei Sonne, Meerwind und Früchten, — und sie war glücklich, dem Blute zusehen zu dürfen, das dieses warme Fleisch schwellte, und der zärtlichen, schmiegsamen Haut, die es nährte. Sie sagte sich: [ 238 ]
„Werd’ ich es je ganz erfassen, was um mich her wächst, die Muskeln spielen läßt, die Gelenke reckt, sich wölbt und sich breitet? Ich bin eine Anbeterin des menschlichen Körpers geworden, aus der einstigen Genießerin von Kunstwerken Ach! Die Kunstwerke hielten still, ergaben sich und sättigten mich … Die lebende Schönheit aber wächst, nimmt mich hin, wächst, überwältigt mich, wächst noch immer und wird in ihrer Fülle erst frohlocken, wenn ich erschöpft bin und die Augen schließe!“
Don Saverio, ihr treuer Freund, brachte ihr seine Schützlinge. Er erklärte selbst:
„Da Sie es mir nicht vergönnen, Herzogin, Sie den andern zu verkaufen, so verkaufe ich sie Ihnen.“
Er hielt Agenten im Lande zur Auffindung menschlicher Vollkommenheit, und behauptete keinen Wettbewerb zu fürchten. Er wurde unter Verzicht auf seine ehemaligen gefährlichen Machtmittel zu einer Art von Haushofmeister im Dienste der Herzogin. Er leitete ihre Feste.
Man ruhte, die Halle entlang und bei goldenen Schalen, zwischen deren Rand der Wein eine samtene Decke breitete, auf purpurnen Polstern in der Tiefe der weiten Marmorbänke. Am Boden, auf den spiegelnden Quadern, sammelten sich Rosenblätter zu roten Lachen. Die schlanken Füße von Knaben strichen darüber hin. An Emmas und Faridas spitzen Brüsten klirrten Tamburine. Ihre kleinen Handflächen röteten sich vom Schlagen. Große Früchte, die barsten, irgendwo unter den Fingern eines Gastes, sandten ihnen ins [ 239 ]Gesicht ihren Saft. Viele Mädchen drehten sich zwischen den Säulen und hingen ihre Gebärden daran auf wie Kränze. Man rief ihnen zu, verlangte Wein und Küsse, öffnete die Arme und die kühlen Sessel ihrem erhitzten Fleisch.
Und zu dem Saft der zertretenen Blumen, zu dem Mark der Früchte und dem verschütteten Wein mifchte sich ganz natürlich ein wenig Blut.
Die Marchesa Trontola, die die mächtigen Rundungen ihres Leibes über zwei Bänke verbreitete, hetzte gemächlich und lüstern zwei arme und schöne Burschen aufeinander. Sie brachten sich mit silbernen Obstmessern viele kleine Wunden bei und lagen am Ende, die Haut voll dünner, roter Rinnsale, quer übereinander auf den Fliesen. Die schwarze Gardine ihrer Wimpern war fest zugezogen über ihrer tiefen Bläsfe.
Lilian Cucuru begann zu leben: sie gestand es selbst. Sie verachtete weniger, sie war nicht mehr kalt von abgestorbenen Schmerzen. Sie liebte es, sich mit ziemlich viel Wein zu erwärmen. Dann behauptete sie laut, daß ihre Schwester das Liebesleben einer Katze sichre. Sie selber verstehe nicht, wie man mitten in Zärtlichkeiten sich so viel tückische Eigensucht vorbehalten könne. Als sie einmal dem Spiele Vinons mit dem ganz verwilderten Mister Williams von Ohio zusah, riß der Haß sie hin. Sie warf sich über die Feindin, sie kniete sich auf sie; ihr rotviolettes Haar, das aufging, überflutete die audere wie schwerflüssiges Blut; und mit ihren Schenkeln, den langen biegsamen [ 240 ]Schenkeln, die für lesbische Spiele gebildet waren, zerstampfte Lilian die süßen Formen, indes sie heisere Beschimpfungen ausstieß.
Ein Knabe und ein Mädchen ruhten still in den Armen der Herzogin, während die Orgie lärmte. Auf einmal — weil der Tanz einer Bacchantin zu nahe an ihnen vorbeigetobt war, weil ein schwerer Duft sie angeweht oder eine heiße Hand ihre Stirnen gestreift hatte — sprangen sie auf, kreischten sich ihre Eifersucht ins Gesicht, rangen ihre schmächtigen Glieder ineinander bis sie stürzten, und verbissen sich mit kleinen scharfen Zähnen, ein jeder an der Stelle von des andern Leibe, wo er es nicht mehr ertragen konnte, daß jenem sich die Lust vollende.
Die wundervolle Contessa Paradisi, sonst außer dem jeweiligen Herzensfreunde nur den Allerreichsten zugänglich, hatte einst versprochen, sie wolle in einer Nacht, und ehe der Morgen die glatten Säulen röte, alle ihre Liebhaber erhören, so viele ihrer sein mochten — ohne eine Vorliebe, ohne eine Abneigung und mit voller Hingabe. Auch hielt sie ihre Zusage, soweit ihre Kraft reichte. Immerhin fchloß sie, wie der vierundzwanzigste ihren beseligenden Mund küßte, die Augen und fiel in tiefe Ohnmacht. Sie erwachte, während der Wein, den man ausleerte, auf ihrer Brust schäumte; aber sie blieb geistesabwesend und erklärte, sich krank zu fühlen. Ein unbemitteltes Clubmitglied, das überdies häßlich war, tröstete sich nicht über den Perlust der einzigen Gelegenheit. Nie würde sie wieder so freigebige Glieder aufthun, die wundervolle Contessa [ 241 ]Paradisi! Als sie schwach geworden war, da war an ihm die Reihe gewesen! Hätten noch zwei andere dazwischen gestanden! Aber für ihn, gerade für ihn war das Unglück geschickt! Er knirschte, und er band, um sich zu erleichtern, mit einem glücklicheren Freunde an. Nackt wie sie waren, und die Florette in ihren von Trunk und Liebe zitternden Händen, stießen sie einander tiefe Löcher und starben beide nach wenigen Minuten.
Don Saverio vermaß sich, das Geschehene gut zu machen; es werde nicht einmal eine Notiz in die Blätter gelangen. Übrigens war Tags darauf alles vergessen, wie der rötliche Brodem, den in schwülen Nächten der Vesuv über die Küste rollte, und den ein Morgenwind zerblies.
∗ ∗
∗ |
Ein kleiner grauer Alter mit Spitzbauch und goldener Brille führte der Herzogin zwei Weiber vor, dereu Künste nicht mehr zu überbieten seien, sagte er. Er wage sie nur im geschlossenen Wagen durch die Stadt zu fahren, denn sie hätten bereits auf offener Straße zu viel Empörung der Sinne veranlaßt und zu viele jähe Handlungen. Er ließ sie ein paar Proben ihrer Fähigkeiten ablegen und stöhnte dazu, als greife es ihn an. Er nannte sich Amoroso. Er verlangte sehr viel Geld.
Die Herzogin hieß sie mitkommen. Sie saß in einem inneren Saal mit leerem Marmorestrich. Es war kühl; ein Zugwind strich aus langen, schattigen [ 242 ]Gängen herein. Zu ihren Füßen breitete sich die Wasserstäche eines großen Beckens aus, und sie sah jenseits die beiden Weiber warten, in schlaffer Haltung, gelb, schwarz, ungekämmt, mit weichem, gebeuteltem Fleisch an Gesicht und Körper, dicken kleinen Falten im unteren Augenlid, gebauschter Kinnhaut, Söckchen in den Wangen, Stirnrunzeln, und mit erhöhten Adern aus müden, kundigen Händen. So viel innerer Aufruhr hatte ihre Blicke fast blind gemacht; dumpf brütend kamen sie von unten, aus der Tiefe eines Leibes, der noch viele sättigen und zerstören konnte. Nur seine Haut war geweitet; sie war über ihn gezogen wie ein nicht mehr frischer Handschuh über eine meisterhaft ausgearbeitete Hand. Sie waren schön — kraft all der Lust, die sie versprachen.
Sie waren die wahren Zauberinnen der Lust, aus einem geheimnisvollen Thessalien hergehext. Aus dem Kosten der Tränke, mit denen sie andern die Sinne vergifteten, hatten sie felber eine schmerzliche Verzückung ihres Fleisches davongetragen. Nur bei ihnen erzwang der menschliche Körper von sich alles, was er hergeben konnte an Kitzel, Krampf, Sturm … Die Herzogin winkte ihnen. Sie begannen. Sie glitten erst nur wie zwei spielende Raubtiere nebeneinander auf die kühlen Fliesen, und ihre heiße, trockene Haut erschauerte, da sie sich streiften. Ihre Glieder lockten einander; sie fügten einander den Biß der ersten Liebkosung zu, und die Süßigkeit der ersten Herausforderung. Sie kämpften — keuchend, unter Schweißausbrüchen, eine jede wahnwitzig darauf versessen, aus der andern ein Werkzeug [ 243 ]des Unmöglichen zu machen und durch sie zu vergehen. Jede starb oftmals mit Röcheln und feierte oftmals eine wilde Auferstehung unter der Geißel, geflochten aus dem Fleisch der andern. Zuweilen verließen sie sich mit gehässigem Aufschreien oder mit einem rauhen, kotigen Wort. Zuweilen erreichten sie das Ziel, — und indes ihre letzten Zuckungen verebbten und die durchs Fenster stießende Abendsonne ihre Fleischfalten durchspülte wie die Wellenthäler eines Meeres das sich glättete, lagen sie hingewälzt, sie wußten nicht mehr wo. Keine unterschied die eigenen Glieder, so tief ineinander vermählt waren sie. Und die eine mit den Brüsten im Schoß der andern, starrten sie einander an, die rosigen breiten Lippen kraftlos geöffnet, stumpf, das Blut befreit von allen Stacheln, endlich erlöst, endlich glücklich.
Aber die Herzogin drüben in ihrem gebauchten Steinsessel, die Beine gekreuzt, vornüber gebeugt zwischen den Armlehnen und das Kinn in der Hand, fragte sich zweifelnd:
„Ist das alles?.. Oder ob auch diese süße Feige, die von allen die reifste ist, sich eine letzte Süßigkeit vorbehält … Ach! diese Frucht ist wie die andern; nie werde ich sie gepflückt haben — und sei sie schon auf meinen Lippen geschmolzen.“
Sie sann.
„Eine Klosterpforte hinter sich zuwerfen wie jener andere, allem entsagen, die Augen schließen…“
Sie schloß sie. Wie sie sie wieder öffnete, traf sie zu ihren Füßen im Wasser ihr Bild. [ 244 ]
„Noch eine Weile,“ flüsterte sie. „Es handelt sich um weniges.“
Und sie betrachtete in dem flüssigen Spiegel die eigene Nacktheit.
Dieser Leib, der nie geboren hatte, war jungfräulich inmitten seiner zerrütteten Reife. Diese Brüste, klein und spitz, stachen ihre fchwarzblauen Warzen täglich in den Schaum neuer Genüsse. Unterhalb des Nabels vertiefte sich immer mehr die eine starke Falte; sie glich einer Schlange, die diefen nach Lust stürmenden Leib anstachelte mit ihren Bissen. Auf dem glatten Bauch und der edlen Senkung der Schultern wurde der matte Alabaster der Haut getönt von ein paar gelben Flecken. Sie waren hingeküßt von einem allzu heftigen Liebhaber, der sich nicht mehr vergessen ließ: von der Zeit. Die Innenseite der Arme war schlaff und die großen Adern geschwellt von einem blauvioletten Blut, das diese oft herabgesunkenen und immer wieder emporgeschnellten Arme antrieb: legt euch um neue Nacken! Die Hände, einst geweiht und vollendet durch das Hinabgleiten an Vasen und Büsten, hatten wieder etwas fast kindliches bekommen; auf der Höhe ihrer Weisheit und am Ende so vieler Übungen hingen sie aufs neue ungestillt und hilflos. Der ganze Leib war früher üppiger gewesen, zur Zeit des triumphierenden Lebens auf den Thronen der Kunst und zwischen ihren Räucherpfcmncn. Nun ward er immer magerer; das mür.be Fleisch, abgenutzt und verzehrt von Fieberglnten, schmolz nach jeder Liebesnacht ein wenig weiter fort; und kaum mehr verdeckt von der gespannten, [ 245 ]feuchten Haut, drängte sich, ruhelos und heiß, jeder einzelne Muskel unter die flüchtige Hand, die ein wenig Letzung versprach.
„Ich hatte also in mir eine, die fast eure Schwester ist,“ sagte sie und nickte hinüber nach den Beiden, die übereinander geworfen im Schlafe atmeten.
„Sie lebt auf, sie springt aus mir heraus, keucht unter der Fuchtel der unerbittlichen Göttin, tobt, ermüdet, sinkt hin … Was kommt dann?“
Sie lächelte.
„Es handelt sich vielleicht um weniges.“
Ein großer, strotzend roter Fleck schwamm im Wasser. Es war der Widerschein ihres gefärbten Haares. Darunter erblickte sie ihr Gesicht blaß und mager, und inmitten seines Glanzes die Schatten des Verfalls und die kleinen Höhlen, in denen er sich verbarg und arbeitete. Der Mund wand sich blutend in immer eiligerer Genußsucht. Ein Lächeln zog die Haut über den Nasenflanken und unter den Augen so straff, daß sie bläulich spiegelte — ein Lächeln von irrer Süßigkeit, rein — und fast ein Grinsen. Sie wußte selber nicht, prickelte dieses Gesicht von leichter Fröhlichkeit oder grimassierte es angstvoll. Es forderte heraus — und es erschreckte durch seine Fernheit vom Leben. Man sah es sterben … Die goldgrünen Schatten auf der Stirn, unter dem Haar, das über den Kopf gestülpt war, wie ein wilder kupferroter Helm über eine Maske von peinlicher Modellierung; das bräunlich zerknitterte Lid und die Perlmuttertöne der Wangen; Kinn und Nasenflügel in der rosigen [ 246 ]Künstelei einer wächsernen Frucht; und die enge, schwarze, schmerzliche Querfalte des sehnsüchtig gebogenen, fettweißenHalses — alles schillerte und beunruhigte wie Fäulnis, färbte sich prunkend und verdächtig wie Ölflecken im toten Waffer, glomm und verführte wie Irrlichter auf tiefen Mooren, rührte, ängstigte und bezauberte wie das bunte, hastige Flügelschlagen eines verscheidenden Schmetterlings.
Sie sah sich mit einer Frage in die Augen. Es waren unter ihren hohen, schwarzen Brauen noch dieselben Augen; ihr Blick fand den Weg fernher, von stahlblauen Meeren. Aber es zitterte vor ihnen ein Glanz von Hingerissenheit und Angst. Sie, waren Zuschauer dieses Leibes, des weißen Leichenfeldes immer neuer Lüste, die auf ihm entbrannten und erstarben.
Und dann antwortete sie ihren Augen.
„Es handelt sich darum, eine halb erhobene Gebürde ganz ausschwingen zu lassen, einen fast schon fertigen Vers zu Ende zu sprechen.“
∗ ∗
∗ |
Sie trug, wie der Sommer vorschritt, an einer nie gekannten Müdigkeit. Keine Abendluft erfrifchte sie mehr; sie versäumte den Genuß der reinen, win digen Frühe. Drunten am Meer war alles hell, heiter, voll Bewegung und Mut, jeden Morgen wieder. Auf ihr brütete ein ewiger Mittag. Sie meinte in eine Wüste verbannt zu sein. Der Sand drang ihr durch die Poren ins Blut; er schob sich träge durch ihre [ 247 ]Adern; er mutzte schließlich stocken … Die Feste verließ sie trübe. Aus starken Umarmungen ging sie schwindlig hervor, mit Herzklopfen und mit Übelkeiten. Des Nachts, ans offene Fenster gebettet, ohne Hüllen und voll trockener Hitze, befragte sie sich im Schein starrer Sterne.
„Warum diese Angst, die sich bis in die Fußspitzen schleicht?.. Ich kenne sie ja, Sie kam auch damals, als Jakobus und das große Kuustwerk mich verrieten, Sie war früher schon einmal dagewesen, in Castel Gandolfo, als es mit meinem Freiheitstranm zu Ende ging. Immer ging etwas zu Ende, wenn ich so im Dunkeln beim Wetterleuchten mit Herzklopfen lag und Morphin nahm — immer ging irgend etwas zu Ende. Was ist es diesmal?“
„Im Grunde weiß ich es vielleicht,“ antwortete sie einmal. „Aber ich will es nicht wissen. Es wäre unstolz, zuzugeben, daß wir selber enden können!“
Sie zog sich an den Golf von Pozzuoli zurück und in den alten Garten, der sie, die Venus, und ihre Verherrlichung über seine fiebernden Wipfel emporgehalten hatte. Sie besah begierig alle die Plätze: das Thal mit den Cypreffen, den Bach und den Brunnen; die Sitzreihen auf den Stufen; den Tempel.
„Dort trat Nino hervor … Wie ist das unglaublich lange her. Drei Monate? Ich muß mich irren.“
Ihr Villino stand sehr einsam an einer kleinen Bucht. Sie war allein, und sie saß auf der Terraffe, im Schatten eines Zeltdaches, und versuchte zu lesen: [ 248 ]Jean Guignols Verse — die Verse, die durch den Garten geharft hatten, unter denen die Pinien gesurrt und die Frauen geseufzt hatten, und die droben am weißen Tempel sich wie Tauben mit roten Füßen niedergelassen hatten, vor ihr, der Göttin … Da sah er selbst ihr ins Buch.
„Ich bin wieder einmal da, Herzogin … Also Sie denken noch daran? Diese armen Worte sagen Ihnen noch etwas?“
„Ich freue mich, wie neu sie mir sind. Ach, daß es doch etwas giebt, was bleibt!“
„Sie bleiben ja nur für die, die immer neu an Empfindung sind. Wenn eine Empfindung wie die Ihrige, Herzogin, je erschlaffen könnte, wären auf einmal alle Werke tot … Aber darum sorge ich mich nicht.“
„Sie haben recht,“ erklärte sie. „Es geht mir gut.“
Er sah weg, erblaßt vor Schmerz. Er fürchtete in Weinen auszubrechen.
„Aber auch einer Gesundheit, wie der Ihrigen, Herzogin, sollte man in diefer Jahreszeit nicht das Klima diefes Golfes zumuten. Hinter uns liegen Sümpfe: man braucht es nicht einmal zu wiffen, die Nafe ahnt es“
„Gewiß, Alpenluft thäte mir besser. Ich sollte nach Castelfranco gehen, in meine fchöne Villa … Wäre sie jetzt noch schön?“
„Warum nicht?“
„Wenn die Statuen, die ehemals meine nächsten [ 249 ]Freunde waren, an mir wie an einer Fremden vorbeisehen würden — nein, den Versuch mache ich nicht. Ich will nichts zurückrufen … Wie wunderbar dunkel war es in den Lauben aus Steineichen! Wie schaukelten sich draußen die Rosen auf den glänzenden Kronen! Die Brunnen, die Allee des Schweigens, ein verwildeter Rasenplatz mit einem Sockel in der Mitte, — ich bin glücklich, daß ich das alles gehabt habe. Und jetzt bin ich glücklich bei dem was ich habe. Schauen Sie nur.“
Vom Garten herauf und über die Terrasse hinweg brachen mit glühender Gewaltsamkeit, massige Wülste roter Pflanzen. Sie drängten ihre gedunsenen Kelche zwischen die Säulchen des Geländers, sie krochen feucht und in Knollen über die Fliesen hin, wölbten sich in klebrigen Bügeln auf der Balustrade und erfüllten den Garten mit einem dunstenden Blutmeer.
„Es sind Fieberblumen,“ sagte Jean Guignol.
„Ich will sie,“ erwiderte die Herzogin. Er schwieg. Sie kamen nicht darauf zurück.
Am folgenden Tage traf Rustschuk ein, mit einem Packen Geschäftspapiere, auf die die Herzogin einen gleichgültigen Blick warf. Er blieb da, und die beiden Männer, die in ihrem ganzen Leben noch keinen gemeinsamen Gedanken gehabt hatten, verbrachten viele Stunden allein miteinander, wenn die Herzogin schlief, wenn sie abgespannt schien, oder wenn sie ungeduldig ihre Hand nach der Küste ausstreckte.
„Geht, und erkundigt euch, wohin das Schiff fährt, das blaue, das eben den Anker losmacht.“ [ 250 ]
Sie teilten sich täglich in leichtem Ton ihre Beobachtungen mit über das Aussehen ihrer Geliebten. Jeder fühlte, daß der andere ihm bei ihr nicht überlegen war. Sie bemitleideten einander und gewährten einander manchmal das Almosen eines ungestörten Gespräches mit ihr. Rustschuk erklärte ihr bei einer solchen Gelegenheit:
„Sie müssen wissen, daß mir, so alt ich geworden bin, noch keine Frau eigentlich Schmerzen verursacht hat Sie haben das fertig gebracht.“
„Ich bin stolz darauf.“
„Ich muß Sie haben, Herzogin, ich ersticke sonst an meiner Begierde. Ich sehe zu, wie alle andern Sie genießen, — ist das nicht eine Ungerechtigkeit…“
„Es geht nicht nach Verdienst, mein Lieber.“
„Gewiß nicht. Sonst wäre ich der Erste gewesen. Bin ich nicht Ihr ältester, treuester Diener? Aber ich habe mir etwas ausgedacht. Wenn ich Sie Ihr Vermögen verlieren ließe? Es wäre mir eine Kleinigkeit.“
„Sie werden es nicht thun. Es gehört Mut dazu.“
„In solchen Dingen habe ich schon öfter Mut gehabt.“
„Und dann sind Sie, glaube ich, fromm geworden.“
„Allerdings. Aber würden Sie mich erhören, um das Ihrige wiederzubekommen?“
„Nein.“
„Nein? Das ist merkwürdig. Sprechen wir nicht [ 251 ]mehr dcwon. Ich vermehre es sogar, trotz Ihrer Verschwendungen.“
„Sehen Sie.“
„Ja, ich bin fromm. Ich bemühe mich, der Freundschaft unseres Generalvikars immer würdiger zu werden,“
„Des Tamburini? Ich zweifle nicht am Erfolg Ihrer Bemühungen.“
„Und gemeinsam werden wir alles aufbieten, Herzogin, Ihre Seele zu retten. Bekehren Sie sich, so lange es Zeit ist!“
„Adieu, Hausjud,“ sagte sie. Er begann plötzlich auf der Stelle wo er stand, zu tanzen, störrisch verzerrten Gesichts.
„Sie werden das bereuen,“ murmelte er, „Ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Ich habe eine Leidenschaft.“
„Ich habe Sie gar zn klaren Kopfes gekannt, zur Zeit, als Sie sich von meiner gescheiterten Sache lossagten, als Sie Ihre politischen Dummheiten, in meinem Dienst begangen, nachträglich als schlauen Verrat an mir zu deuten wußten … Eigentlich kenne ich Sie nur schlotternd, und findig vor Angst … Denken Sie doch einmal über das hiesige Klima nach.“
„Es ist mir gleichgültig.“
„Wissen Sie, daß Sie seit Ihrer Ankunft auffallend fchlecht aussehen?“
„Ich fühle mich auch danach.“
„Ich rate Ihnen, schleunig abzureisen.“
„Nein.“ [ 252 ]
„Warum, nein.“
„Weil es mir ganz gleich ist, ob ich hier zu Grunde gehe. Ich muß Sie haben.“
„Das ist das Wichtigste? Und Ihr Leben?“
„Sie hören ja, ich habe eine Leidenschaft, was heißt da Leben? Lieb ist es mir ja selber nicht, daß es so ist; aber kann ich’s ändern?“
„Sie wagen etwas für mich? Sie sind nicht feige?“
Sie sah ihn fest an, sie suchte in den verbrauchten Zügen des alten Geldmenschen nach etwas Jungem. Sie lehnte sich zurück und seufzte vor Befriedigung. „Das ist schön —“ sagte sie, und sie genoß das Glück, einen Menschen nicht länger verachten zu müssen.
Er schnaubte vor ungeduldiger Hoffnung.
„Komme ich nun also dran?“
„Jetzt weniger als vorher. Sie sind nicht mehr der Erste Beste.“
„Sehen Sie wohl, Sie sind kokett! Sie quälen einen, bis man nicht mehr kann. Ich seh’ ja ein, wie verrückt es ist, Sie zu lieben. Sie, die jeder haben kann — nur gerade ich nicht. Möchte wissen, wie gemein Ihr Umgang noch werden muß, bis auch ich dran komme!“
Sie hörte ruhig lächelnd zu. Er konnte sich nicht wieder verunstalten; er war weniger häßlich geworden.
Jean Guignol gestand einmal, als sie allein saßen:
„Nun sehne ich mich also doch nach Ihnen. Sie [ 253 ]erinnern sich wohl, das war es, was ich am meisten fürchtete.“
Sie wollte nichts wissen. Es war wieder eine ganze Seele voll von Pein, die auf sie zuflatterte. Sie wehrte trotzig ab.
„Ich bin ein wenig müde; ich habe zu viele Männer gehabt.“
Er errötete tief.
„Sie müssen doch verstehen, wie sehr ich darunter leide, mit welcher blinden Selbstaufopferung ich gezwungen bin Sie zu lieben — nach so vielen!“
„Ich verlange es nicht.“
„Aber ich selbst verlange es! Ich will Sie nie besitzen! Ein Idol sollen Sie mir sein, Sie, die Geliebte der Zahllosen! Ich will an Ihnen nicht einmal mehr deuten, raten, formen, wie ehemals, als ich Sie bloß erst aus der Ferne kannte und in meiner Tiefe. Ich will nur noch auf das Unsägliche in Ihrer Seele horchen — ohne die Sucht nach Worten dafür.“
„Was begehren Sie also von mir? Das unmögliche Werk, das Sie niemals schreiben werden?.. Ach, ich kenne das alles. Diese Beschwörungen, diese rechthaberischen Forderungen im Namen eines Werkes, diese Verzückungen und Ernüchterungen: ich habe sie schon einmal durchgemacht. Schließlich verläßt man sich ohne Genugthuung und denkt mit Grauen daran, wie sehr man sich gequält habe,“
Sie setzte insgeheim hinzu: „Und du bist dazu verurteilt, mit deinen Werbungen jedesmal dann herauszukommen, wenn mich Kopf und Nieren schmerzen, und [ 254 ]wenn schon das Hinstreifen deiner Lippen über meinen Ärmel mich aufschreien machen könnte.“
„Herzogin,“ flüsterte er mit trockener Kehle.
„Was wollen denn Sie?“ fragte sie langsam, und sah ihm in die Augen. Und aus ihrem Blick erfuhr er, wie entsetzlich fern er ihr war.
„Ich spreche ins Leere,“ sagte er sich, mit einem Kältegefühl. Aber noch kämpfte er um sie!
„Herzogin, ich leide unter jedem Atemzug, den Sie in diefer Fieberluft thun. Seien Sie gnädig, erlauben Sie, daß ich Sie fortführe, in irgend ein reineres, glücklicheres Land.“
„Glücklicher … Sie thun immer, als sei ich nicht glücklich. Wissen Sie, daß das beleidigend ist?“
„Ich weiß nur, daß ich selber zu unglücklich bin, und ich kann nicht glauben, daß nicht auch Sie es sein sollten, da Sie ja nicht imstande sind, mich zu trösten, da Sie ja einsam und hart sind.“
Sie antwortete nicht.
„Geben Sie mir eine Hoffnung, geben Sie sich selber eine! Sagen Sie wenigstens, daß Sie es möchten — daß Sie mir folgen möchten!“
Er wartete angstvoll. Schließlich hörte er, wie sie Worte fallen ließ.
„Es wäre unnütz … Ich habe keine Zeit mehr.“
Darauf fchlug er die Hände vor’s Gesicht und trat von ihr weg. Er sagte tonlos, und in sich zurückblickend:
„O! erkennen zu müssen, daß eine Frau die [ 255 ]Einzige ist — die, in der ich der Reihe nach alles wieder gefunden hätte, was in der Jugend so zauberhaft hell war, und was mir verloren ging. In der ich Jüngling, Mann und Greis zugleich gewesen wäre. In der ich alles was mir beschieden ist, doppelt gefühlt haben würde.“
Sie dachte:
„Und als wir das erste Mal miteinander sprachen, und du es entsetzlich fandest, dich nach mir zu sehnen, da dehnte ich mich vor Verlangen nach dir! Ich hätte damals ernsten, zärtlichen Worten lauschen mögen, einem Knieenden die Hände um das Gesicht legen und mich anbeten lassen. Es ist sehr lange her, du verstandest mich damals gar nicht.“ Sie besann sich, ob sie sprechen solle. Ein Mitleid, von weit her, ließ sie schweigen. Er öffnete endlich die Augen, und plötzlich bestürmte sie das ganze Rot des Gartens. Es tobte wie in Fieberschweiß gegen die Umfriedung. Es zuckte zwischen den unerbittlichen Armen zweier starrer Cypressen. Dahinter blendete das Meer, leer von Segeln.
„Zu spät gekommen,“ murmelte Jean Guignol. „Das erste Mal hatte sie zu viel zu erleben. Und jetzt ist nichts mehr übrig.“
Er stützte sich auf die Brustwehr, schwindelnd. Er meinte etwas erkannt zu haben, was nicht ins Leben gehörte, was sich mit der Thatsache des Daseins nicht vertrug.
„Es ist schon vorüber, aber einen Atemzug lang [ 256 ]habe ich erschaut, was nie jemand begreift: daß ich gar nicht hätte leben sollen. Es hat ja nicht gestimmt hei mir! Ich habe den Weg verfehlt und das Zusammentreffen versäumt mit der, die mich erst gerechtfertigt hätte!“
Er fühlte sie hinter sich, ganz nah, — und er hatte Lust, hier, unter ihrem Blick, den Kopf auf die Arme zu legen und zu fchluchzen. Dann erschrak er und fragte sich, ob das etwa Litteratur sei.
„Ist alles erkünstelt? Will ich ein Stück daraus machen? Bin ich nur ein gleichgültiger Buchstabiere! von Schicksalen, der sich des Handwerks wegen zum Erleben nötigt?.. Ich kenne mich nicht. Wer je aus einer Empfindung einen Vers geformt hat, der darf sich nicht mehr glauben. Das ist das Schlimmste.“
„Und wenn sie mir sagte: Ja, ich will dich lieben —“ so sprach er in die Flut von giftiger Röte dicht unter seinem Munde, „felbst dann noch wäre es ein Irrtum. Wie es ein Irrtum war, sie, meine Geliebte, verstehen zu wollen. Eine Geliebte versteht man nicht. Sie haben recht, die vollkommenen Frauen, die Geister und Künstler zugleich sind, — daß sie nur sehr einfache Männer lieben, nur folche die gar nicht gescheit genug sind, um sie mit ihrem vorgeblichen Verständnis zu peinigen oder zu langweilen. Dieser Nino! Daß ich nicht einmal eifersüchtig sein kann! Denn wie liebt er sie, — und wie liebe ich sie! Es ist gar nicht dieselbe Frau, die wir lieben! Wir sind kaum Nivalen. Für alles, alles zu klarsichtig. Am Ende jedes kurzen Traumfluges stoße [ 257 ]ich mit dem Kopf gegen das Wort Irrtum. Es brummt mein Kopf: du irrst dich, du liebst gar nicht. Du möchtest lieben können, du möchtest nach Gegenliebe verlangen, aber du thust es nicht. Du weißt, dies wäre dein Weib, wenn du so wärest, daß sie dich brauchen könnte. Und wärest du so, dann würdest du sie wieder nicht so lieben wie jetzt, sondern als eine andere. Ein Irrgarten: er lädt dazu ein, sich aufzuhängen an einem seiner Bäume … Ob ich sterben könnte?.. O, ich erschrecke!“
Endlich wandte er sich um — und ließ die Arme sinken. Sie war fort.
Er starrte auf ihren verlassenen Platz. Er hatte nicht gehofft, daß sie seinem versagenden Geflüster zuhören, daß sie ihm zurufen werde: das alles ist falsch, und du darfst leben! Nein, sie saß stumm, fern und ohne seinem Herzen ihr Ohr zu neigen. Aber sie saß doch dort, mit den Füßen auf diesen selben Fliesen, und gleich hinter seiner Schulter … Nein, nicht einmal das. Und er erschauerte in einer Einsamkeit ohne Grenzen, ohne Ausweg, ohne Echo.
∗ ∗
∗ |
Rustschuk und Jean Guignol bekamen nacheinander das Fieber. Auch aus der Dienerschaft wurden mehrere davon ergriffen. Die Herzogin fühlte sich wohler. Der Arzt der die Kranken besuchte, sagte zu ihr:
„Die böse Luft hat Ihnen noch nichts anhaben können, gnädigste Herzogin. Es liegt an dem Alter [ 258 ]in dem sie stehen, daß Sie die letzte sind. Aber faßt das Fieber sie erst einmal, dann — giebt es Sie lebend nicht heraus. Reisen Sie, reisen Sie!“
Ihre beiden Freunde waren außer Gefahr; darauf kehrte sie, merklich erholt, in die Stadt zurück.
Es war Anfang September; einige hundert Leute mit Geld und Titeln hatten sich aus Amerika und Europa nach Neapel bestellt. Sie kannten einander von unzähligen Vergnügungen an fünfzig Plätzen der Erde. Sie hatten einst in Zara der Revolution für die junge Herzogin von Assy beigewohnt, wie einer Fuchsjagd oder einem Karneval. Sie hatten in Venedig die Feste besucht, auf denen die satte Kunst prangte neben der reisen Schönheit der Herzogin von Assy. Jetzt kamen sie, um zuzusehen, wie der Ausbruch ihrer späten Wollust eine ganze Stadt auflodern machte.
Denn die heidnische Flamme griff vom Palast auf dem Posilippo über Neapel hin. Das Volk stürzte sich hinein. Es schrie ihr in Krämpfen, wo immer sie vorüberkam, seine Anbetung zu. Es wütete bei Orgien, die sie bezahlte. Die Nächte auf den langen Quais brannten von Pechfackeln und von begehrlichen Augen, von erhitzten Körpern die im Bogen ins Wasser fprangen, von rotem Rauch aus den Kesseln der fliegenden Bäcker, von Wein, von sehnsüchtigen Worten und von rastlosen Umarmungen. Unter den Lichtkränzen farbiger Papierlampen und den Funkenspielen der Fackeln sprenkelten die Häuser sich rosig und grün, flackerte es bunt auf den Gesichtern, stürzten in jähen Farben die Gebärden durcheinander und schillerte das [ 259 ]Meer, genußsüchtig sich schlängelnd unter lauter Schuppen aus Erz und Gold.
Gefolgt von ihren Gästen in zahllosen Wagen fuhr die Herzogin über Santa Lucia. Die Juwelen und die Orden blitzten, die Spitzen zitterten, teure Düfte wehten unter Fächerschlägen hin und her, — und dazwischen sprangen die nackten Burschen und winkten vom Strande die Mädchen mit zerzausten Röcken und offenen Miedern. An eine Hand, die elegant bekleidet und in göttlicher Ruhe von einem Wagenpolster hing, befestigte sich der schöne, bebende Arm eines unschuldigen Sterblichen. Die Badenden standen auf den seidenen Kissen der Frauen und schnellten sich mitten in der Fahrt ins Meer.
Neben dem Wagenschlag der Herzogin lief unermüdlich ein schönes, zartes Geschöpf von kaum vierzehn Jahren. Er bat um nichts, er hielt nur seine großen Blicke auf ihrem Gesicht; sie waren voll eines Schmachtens, hilflos und unsäglich. Manchmal schob er mit einer kleinen braunen Hand die Haare von den Augen fort. Sie warf fchließlich einen Ring ins Wasser, und der Knabe sprang hinab. Wie sie das nächste Mal an der Stelle vorbeikam, zog man ihn eben heraus. Er hatte sich in der Tiefe an einen Pfahl geklammert, er wollte das Licht nicht mehr fehen, worin es etwas so Unerreichliches zu begehreu gab — und ihren Ring hielt er fest zwischen den Zähnen. Nun lag er auf das Pflaster gebreitet; das Fackellicht vom Karren eines Obsthändlers tauchte in die weichen Grübchen seines [ 260 ]Kinderkörpers und strich in hellen Rundungen um seine kleinen Muskeln.
Bei einem glänzenden Feuerwerk auf der Piazza San Ferdinand» erschoß sich der Neffe des Präfekten, der junge Luciano, den sich die Frauen weitergaben wie ein Riechfläschchen. Er erschoß sich, während rings um ihn her eine Menge Raketen rasselten und alle Gesichter nach oben lagen — so daß man seine That weder horte noch sah. Er ward unter den Füßen der Menge hervorgeholt, als sei er im Gedränge ohnmächtig geworden. Dann entdeckte man Blut an ihm, und auf seinem Herzen die Photographie der Herzogin von Assy.
Der Sohn eines ländlichen Wirtes versuchte ihr Gift beizubringen in einem Glase Orangenwasser, das sie auf Spazierfahrten sich zuweilen von ihm an den Wagen bringen ließ. Sie fand den Geschmack des Getränkes schlecht und gab es ihm zurück. „Ich hatte erst nach dir trinken wollen,“ erklärte der junge Mann, blaß und standhaft, und verschluckte es.
Aber durch seine Seltsamkeit am auffallendsten war der Tod eines harmlosen, wohlhabenden Grundbesitzers aus Pistoja. Gleich nach seinem Erscheinen hatte Lilian Cucuru ihn für sich ausersehen und ihn unschwer bewogen, sich mit ihr zu verloben. Übrigens reute es sie bald; sie erinnerte sich ihres Freiheitsstolzes; auch sah sie den armen Carlo zum Sterben verliebt in die Herzogin. Sie bot ihm die Zurückgabe seines Versprechens an; er nahm es zögernd aus Gewissenhaftigkeit, und erst am Tage vor der Hochzeit. Nur [ 261 ]daß Don Saverio nicht gesonnen war, den unverhofften Gatten seiner Schwester entwischen zu lassen. Er unterrichtete ihn davon, daß die Camorra sich mit ihm beschäftige;, es heiße heiraten oder sich auf ein plotzliches Ende gefaßt machen. Der arme Carlo heiratete. Er kniete, von seiner Braut weggewendet, auf der Altarstufe. In der Kirche zeigte man sich die Camorristen, die ihn eingeholt haben würden, wenn er zu fliehen gewagt hätte … Er floh anders.
In der weiten Loggia im Hause der Herzogin von Assy, auf einem ihrer betäubenden Feste, saß er, halb versteckt von einer Säule, und sah sie an. Er that nichts weiter, und er that es die Nacht hindurch. Sie streifte felten sein Gesicht und fand es sehr blaß. Zuweilen meinte sie, ohne daß sie es sah, deutlich zu fühlen, wie es dort neben ihrer Schulter wieder ein wenig weißer geworden war. Die schweren, glühenden Blicke in diesem Leichengesicht quälten sie. Und auf einmal, als gerade die erste Morgenluft hereinfächelte, sank der arme Carlo lautlos unter den Tisch. Es zeigte sich alsdann, daß das Wasser des Brunnenbeckens bei dem er gesessen hatte, hinter der Wand von Blumen tief gerötet war, und daß der Tote an der linken Hand die Ader geöffnet und kaum noch Blut im Leibe hatte.
Es war schwer zu verstehen, daß sogar ein ehrbarer Provinzler von der Tollheit der andern ergriffen war. Aber es strich ein Wind von Wahnsinn den Golf entlang. Die Herzogin selber spürte ihn. Jedes neue Sterben das für sie geschah, schnellte ihre [ 262 ]Genußsucht in wütendere Wirbel. Die Gier durchwühlte sie bis zum Aufschreien: alle zu beglücken, alle zu befreien von ihrem Drange — Lust zu spenden, so weit ihr Wurf reichte, und inmitten alles zuckenden Lebens dem Tode keinen Fleck am Boden zu lassen, wo er sich hinstrecken konnte.
Aber er holte sie ein, so wild sie jagte; er war immer schon da. Überall wo sie, die Wollust, vorbeikam, da erhob, und sogar unter den Hufen ihrer eigenen Pferde, der Tod den Kopf vom Pflaster. Je mehr fieberheißes Leben sie verschenkte, desto mehr Todeskälte bekam sie zurück.
Und inzwischen fühlte sie sich leben ohne Ermatten, ein irres, Unheil austeilendes Leben, für das man sie haßte. Man ging starren Gesichts ihrer unheimlichen Schönheit entgegen, man verwünschte sie, und man verlangte danach, sich ihr. zum Opfer zu bringen.
Es kam vor, daß berauschte junge Leute ihr die Pferde ausspannten und die Herzogin in ihrem Wagen davonschleppten, in der Haltung von Sklaven und unter Flüchen. In der Menge hörte sie nun rachsüchtige Zurufe zusammen mit unflätigen. Huldigungen und Drohungen spritzten als der gleiche Kot um ihre Wagenräder. In einer Nacht stürmte das Volk die Zeitungskioske und verbrannte Packen eines illustrierten Blattes mit ihrem Bildnis — während das Meer voll brünstiger Guitarren war, die nach ihr riefen.
Sie konnte sich der Unruhen wegen, die sie veranlaßte, wenig mehr zeigen. Die vielen, denen sie von ferne erschienen war, gedachten ihrer kaum noch wie [ 263 ]eines Menschen. Sie war das überall gegenwärtige, ungeheuerliche Sinnbild der Liebessucht, die die Stadt geißelte. Sie wurde wieder zu der Morra, der Hexe, die Herzen herausfraß aus Brüsten, und zu deren Klippen der Vorüberfahrende hinaufstarrte, gebannt, in grauenvollen Begierden.
Eines Abends aber sammelte sich ein wütender Haufe vor ihrem Hausthor und wollte Feuer daranlegen. Die obscönen Lieder gellten bis in ihr Fest hinein, begleitet von den Stößen und Schreien der Einbrechenden. Am Ende bekam sie ein Billet, und es stellte sich heraus, daß es Jean Guignol war, der den Lärm veranstaltete, denn er hatte sich getötet. Er rief ihr noch aus dem Nichts seinen Dank zu für den wollüstigen Wahnsinn, in den sie mit der ganzen Stadt auch ihn gestürzt habe. „Welch Glück! Ich weiß, daß ich Sie wirklich liebe, ohne Litteratur — wenigstens in diesem Augenblick, da ich meinen Tod beschließe! Ganz ehrlich und unschuldig sterbe ich, einer der ratlosen Körper, die von Ihrem Blick getroffen, an Ihrem Wege verröcheln! Ich liebe Sie! Und ich thue es nicht eines schönen Verses wegen — da ich ja sterbe!“
Sie zerriß den Brief. Sie zitterte vor zorniger Verachtung. „Das ist sein Auskunftsmittel! Ich habe ihm nicht erlaubt, sich auf eine andere Weise mit mir zu verbinden: drum stirbt er für mich. Auf mich läßt er sein Blut spritzen. Wie ist das feige! Er hat sich besiegen lassen, und er will, daß auch ich an seiner Niederlage leide: der doppelte Feigling!“ [ 264 ]
Aber die eigene Härte schmerzte sie, wie ein Überfall ihrer Krankheit.
Sie hielt diese Nacht den Stab mit dem Weinlaub sehr hoch. Zum ersten Male schrillte durch eine ihrer Orgien ein Ton wie von Verzweiflung. Den armen Rustschuk reizte und enttäuschte die Herzogin so lange, bis sein Gesicht blaurot und seine Zunge seltsam schwer ward. Dann stieß sie ihn zu Lilian, die Geld brauchte, auf das Ruhebett, mit der herrschen Geste von Venus, als sie Helena und Paris zusammentrieb. Man behauptete, der Minister habe diesmal einen richtigen Schlaganfall erlitten. Draußen heulte noch der Aufruhr um Jean Guignols Leiche: und aus der Mitte ihrer Gäste traf sie feindseliges Gemurmel.
Sie fuhr aus. Sie erschien im Theater San Carlo und bot sich der Wut dar, die zu ihr emporbrach, bei offener Scene. Eine Garde von Anbetern um jeden Preis, zusammengewürfelt aus Herren mit Gardenien und aus Zerlumpten, verteidigte die Thür ihrer Loge. Sie sah in den Saal hinunter, der in Krämpfen lag, auf die Galerie hinauf, die Fäuste schwenkte, und sie erkannte das Volk wieder, das in Zara ihren Wagen umtobt hatte, weil sie einen Mörder entschuldigte. Sie meinte, jener Alte tanze aufs neue an der Hafenbucht umher, weil sie ein Ruder ergriff. Und die unmenschliche Mundhöhle des römischen Zeitungsausrufers schien sich, ihr gerade gegenüber, noch einmal aufzuthun, angefüllt mit Geifer, mit verdorbenem Atem, mit Sterbelauten, und ihr, frohlockend [ 265 ]vor Haß, alles Unheil ins Gesicht zu keuchen, das für sie geschah und durch sie!
Einen Augenblick allgemeiner Erschöpfung und drückender Stille benutzten ihre Anhänger, um ihr Beifall zuzurufen. Es waren alte Böcke, Cocotten und junge Halbleichname. Es war das schlimmste, was zu überstehen war. Sie hielt es aus, sehr hochmütig, das Lorgnon an den Augen und ohne auf die Grüße zu antworten.
Plötzlich war sie verschwunden. Ihr Wagen sauste davon, ehe jemand es gewahr ward. Sie saß darin noch in derselben starren Haltung wie auf ihrem Logenplatz. Sie deuchte sich unbeweglich in einer steil und mühsam aufgebauten Einzigkeit. Nur keine Furcht vor Schwindel!
Die Diener rissen das Gartengitter auf. Wie der Wagen hindurchfuhr, sah die Herzogin an dem schmiedeeisernen Blätternetz eine kleine Form lehnen, ein Kind mit Blumen auf dem Schoß. Ohne Besinnen rief sie „Halt!“ und stieg aus.
„Gieb mir deine Blumen,“ sagte sie.
Das kleine Mädchen blieb still.
„Sie schläft,“ murmelte die Herzogin und näherte ihre Lippen der Stirn des Kindes. Sobald sie sie berührte, fiel der Kopf auf die Schulter. Sie betastete es: das Kind war tot.
Sie stand und bebte. Sie fühlte die Sekunde kommen, wo sie über das Kind hinstürzen würde und aufschluchzen.
Sie befahl, mit Furcht vor sich selber, ihren [ 266 ]Leuten draußen zu bleiben, und betrat allein den dunkeln Park.
„Ein verhungertes Kind,“ sagte sie zu sich. „Es sitzt zufällig auf einem Stein vor meiner Pforte. Was geht es mich an!“
Aber nach all den Toten, die sich ihr entgegengeworfen hatten als gehörten sie ihr, taumelte sie bei der leichten Berührung dieser zufälligen Kinderleiche.
„Es sind zu viele, sie wälzen sich, übereinander, so weit ich sehe. Ich begreife nicht mehr, wie ich sie alle habe ertragen können: früher, von Dalmatien und von Paris bis nach Venedig, wo die Bahre vor mich hingestellt ward mit San Baccos Körper. Ich fühlte doch mit der Alten von Benkowatz, die den Schädel ihres Sohnes an seinem Schopfe umherschwenkte und nach Gerechtigkeit schrie. Ich war ebenso stark! Bin ich nicht die Tochter von Starken, in deren Lebensläufen sich die Körper der Besiegten häuften? Wie viele mußten wohl untergehen oder verkümmern, damit das Leben eines Affy frei, ungehemmt, groß und schön werde? Er hat sie nie gezählt! Er nahm sie hin, er hielt sich aller Opfer wert, er hatte den Mut dazu und das gute Gewissen!
„O, meine Väter! Wo seid ihr? Ich habe nie gewußt, daß ich bis hierher allein sei! Welch eine schlimme Einsamkeit, die keine Spur hinterlassen wird! Nach mir hört die Welt auf!.. Man verbeugt sich vor meinem Namen, vor meinem Stolz, vor der Verachtung die ich fühlen lasse. Aber wo ist meine Familie? Welchem Lande gehöre ich an? Welchem [ 267 ]Volke? Welchem Stande? Was vertrete ich? Welche Gemeinschaft rechtfertigt mich? Wehe mir, wenn ich schwach werde! Ich bin einzig auf meine Nerven gestellt. Niemand wird Achtung für mich beanspruchen, wenn mein eigener Stolz sich einmal verdunkelte!.. Hatte ich ein Kind!“
Mit ihr stieg die lange Gartenmauer den Hügel hinauf und herab, und von droben starrten im Sternenlicht Masken sie an, kalt und stumpf. Sie sehnte sich:
„Hätte ich ein Kind!“
Es war ihr plötzlich, als folgte ihr etwas, mit Schwimmbewegungen. Sie war auf einem fernen Meere, es schwamm etwas hinter ihr: Pavic’ ertrunkener Knabe!
Vor ihr, quer über den Rasen trippelte, ohne sie anzusehen, kühl und lieblich in ihrem verjährten Prunk, die kleine Linda, das künstliche, zukunftslose Kind ihrer sieben Jahre mit Jakobus. Wäre es ihr eigenes gewesen — wenigstens dieses!
Der junge Tortenbäcker hockte irgendwo unter einem Busch, wimmernd, mit gebrochenen Beinen. Weil er ihr gefallen hatte, war er vom Küchenbalkon gestürzt worden. Braunblaß und mit großen, umränderten Augen lagen fchwarzsträhnige Knaben auf den Schwellen seltsam umrahmter Portale, und vor einem Orangengarten saß ein Kind mit weichem Profil und langen Wimpern, und ganz vergoldet vom Schein all der Früchte. „Gewiß sind auch sie schon gestorben: ich habe sie zu heftig begehrt!“ [ 268 ]
Der Fischerbub, ihren Ring zwischen den Zähnen, streckte sich erstarrt auf den Kies, mit ausgebreiteten Armen, ganz glücklich, sich ihr dargebracht zu haben … Und draußen, am Gitter, bewegte der Nachtwind die Blumen im Schoß einer kleinen Toten.
Wo und unter welchen Kränzen lag nun Jean Guignol?
„Von mir ist keiner dabei … Er hat mir folgen und mein Leben weniger einsam machen wollen. Er hätte es nicht gekonnt, — gleichviel. Ich habe ihn fortgeschickt, und begreife nicht mehr, warum. Ich habe ihn fortgeschickt, und er ist weit gegangen, möglichst weit, bis ans Ende von allem. Hatte er nicht recht? Wie durfte ich ihn feige nennen? O, ich that es nur aus Not; ich verstehe ihn ja! Warum hat er mich damals nicht verstanden? Jetzt würde er mich nicht einmal hören, Käme er wieder, wie sollte er mich jetzt milde und willfährig finden bei seinen vergeblichen Versuchen, Liebe zu fühlen! Er wurde nicht geliebt, der Arme, — aber er liebte auch nicht: das ist schlimmer. An der Sehnsucht, lieben zu können, zerbrach er.
„Ich aber, ich liebe! Ich kann mir von Nino sagen lassen, daß ich, wie es auch komme, doch immer Aolla bin, — und kann es ihm glauben! Er soll kommen! Er wird den Mut haben, der mir entsinkt. Er ist so unbedenklich, so mit sich einverstanden. Ich werde es wieder werden. Ich bin gerettet!“
Aber zum Schluß der schlimmen Nacht und all ihres fassungslosen Schluchzens, und als Ausgang einer [ 269 ]Gereiztheit bis zu Krämpfen und einer Traurigkeit bis zur Erschlaffung, war es ihr wieder klar:
„Nein! Wäre die Erlösung so leicht zu haben, dann hätte ich gleich nach ihr gegriffen, und alle Angst war unnötig. Aber sie ist nicht zu haben! Nino darf nicht kommen! In dem Augenblick, wo ich schwach bin! Es wäre schimpflich, wenn das ,nächste Mal‘, an das er glaubte, so aussahe. Und noch dazu handelt es sich für mich um das letzte Mal — beinahe bei allen Dingen.“
Nach vier Stunden Schlaf hielt sie alles für einen Alp. Sie fühlte eine herausfordernde Stärke, zeigte sich in Gesellschaft, erhörte einen fremden Diplomaten, beteiligte sich an seinem Versuche einen andern fortzuintriguieren, und gab am Abend darauf ein Gartenfest, das Vinon Cucuru erdacht hatte, und dem sie wegen der Trauer um ihren Gatten nur aus einem Verstecke zusah. Die Damen erschienen dabei in Tricot und die Herren als Affen.
Aber mitten aus dem Tanz mit einem großen, wildriechenden Affen verschwand die Herzogin, um nach Salerno zu fahren, wo sie ein Stelldichein hatte mit Asclitino, dem Grafen von Aversa.
∗ ∗
∗ |
In der Vorhalle des Doms, unter den Arkaden, stand fein steinerner Sarkophag. Er hatte ein rundes Loch; zwei Kinder, die hineinspähten, sagten ihr:
„Nicht wecken! Er schläft.“
Aber sie weckte ihn, kraft ihre Sehnsucht. [ 270 ]
Sie ging zurück über den Mosaikboden mit Vögeln auf kreisenden Ringen, mit Masken, Fischen — rätselhaften Zeichen, die Wahrheiten gewesen waren in den Köpfen ihrer Väter. In ihren Köpfen hatten die Löwen am Portal gelebt, gleich verwandelten Menschen.
Sie erstieg zwischen Cacteen den Berg. Zackige Mauern bändigten die schwarzen Massen der Gärten. Tief darin schrieen die kreidigen Flecken der Villen. Sie ließ versunkene Kapellen zurück; eine Kuppel mit klaffenden Sprüngen; leere Bögen, in denen der Sonnenuntergang erblindete. Drunten dämmerte die Stadt.
Die Ackerterrassen um die Burg waren schattenbraun. Die Bauern schliefen schon; ein Hund schlug an und beruhigte sich.
Sie ging an Brücke und Thor vorbei, die Außenseite der langen Mauern hinab. Sie lehnte sich in eine Bresche und sah hinauf. Dort hinter der gefchwärzten Fensterluke stand er wohl, und der Fürst stellte ihm das goldene Banner in die Hand. Sie hörte klirrende Schritte, unregelmäßig auf verfallenen Stufen, — und er betrat den Hof. Er war in einem Wanken Panzer aus Silber, mit Olivenzweigen über der Stirn, um die großen blonden Locken, die sich aufwärts bogen; und er hatte kurze rote Lippen.
Sie lehnte in der ansgezahnten Bresche, ihr schwarzer Umriß zerfloß ins Dunkel, ihr weißes Gesicht ruhte fchräge darin. Mit einem schrägen Blick, mit einer schluchzenden Lockung, betrachtete sie ihn. Er sah geradeaus, fest und sanft, in ihr Auge. Er [ 271 ]lächelte ihr zu. Es ward ganz finster, — sie aber wußte, beseligt und voll Frieden, er halte die Hände gekreuzt über den Knauf seines Schwertes und lächele im Schatten.
Als sie wiederkam, war es zu früh; sie hatte es vorausgesehen. Sie wartete in einem engen Viereck zerbröckelten Gesteins. Das Meer funkelte herauf, ein magischer Spiegel, aufgestellt zwischen Trümmern von ihrer Traumburg, um alte Dinge zurückzurufen. Sie machte aus einem Felsstück ihr Kiffen. Neben ihr raschelte es. Sie wandte sich um; eine Eidechse sah sie mit spitzen Äuglein an. Die Herzogin legte wie als Kind den Kopf auf die Arme, und sie und die kleine Verwandte verschollener Riesen belauschten einander, lange und in Freundschaft — wie einst. Sie fühlte sich klein wie einst und stillen Sinnes. Es kam einer und legte die Hände um ihre Wangen.
Er kam im schlichten Wams, warf die Kappe ab und fetzte sich zu ihr; und sie plauderten. Sie liebte ihn ganz ohne Drängen, ganz ohne Angst. Der Wein war gnt geraten dieses Jahr, nun begann die Ernte. Die Oliven litten an keiner Krankheit. Der Herr von Capua, den man den Wolf der Abruzzen nannte, hatte wieder einmal einen Angriff auf die Stadt Aversa gemacht, aber Asclitino’s Normannen waren Sieger geblieben. Ein Türkenschiff hatte sich nicht weit von der Küste blicken lassen. Die Normannen aus ihrem Wachtturm waren ihm nachgesegelt, hatten es gekapert und große Beute gemacht. Wenn es heute nacht regnete, konnte man morgen einen guten Fischzug [ 272 ]thun. Roland von Hochecorne hatte seinen Vetter erschlagen und mußte der Kirche tausend Dukaten zahlen, um von seiner Sünde loszukommen … Das war das Leben; es war einfach, ohne Fieber, ohne Zweifel.
Zum Abschied küßte er sie, unter den Sternen, während Leuchtkäfer um sie her schwebten und Menthe bitter duftete. Sie hob seine Hände, in die ihrigen verschränkt, über ihre Köpfe, als ob sie mit ihm ränge; — und so sanken sie sich an die Brust.
Jeden Abend kehrte er wieder, nach der Arbeit seines Tages, nachdem er geerntet oder getötet, gekämpft oder Streit geschlichtet hatte. Sie dachte sich nur noch bei ihm. Er war so zart, daß er ihre Gedanken mit seinen Lippen auf ihrer Stirn zu finden wußte, und stark genug, um ihr Bruder und Geliebter, Beschützer und Vater zu sein. Und auch Kind war er ihr.
Er gab ihr so viel Ruhe, daß sie ohne Schreck, ja, ohne besondern Nachdruck aussprechen konnte: „Es heißt nun bald sterben.“ Sie war in angenehmer Erwartung eines neuen Spieles, das Sterben hieß, einer noch nicht getragenen Maske und einer unbekannten Erregung. Der Tod trat in ihren Geist wie in einen Zaubergarten; die glänzende Luft darin machte ihn blühend und leicht.
Sie wünschte sich einen Vorgeschmack von ihm. Sie genoß ihn nnt Asclitino; sie, die den Tod noch durchkosten mußte, mit ihm, der ihn schon erprobt hatte. Er erklärte ihr, daß der Tod von einer geliebten Hand sehr süß sei. Er bat sie darum. [ 273 ]
Die erste Nacht brachte sie ihm drei vergiftete Rosen. Sie rochen daran. Sie sagten sich alle ihre Koseworte mit den Lippen über den tödlichen Blumen.
Die zweite Nacht war er blaß; sie schloß ihn in um so zärtlichere Arme. Sie trug zwei vergiftete Orangen, deren Saft sie tranken. Darauf war er nur noch ein Schatten, und sie selbst fühlte sich in der dritten Nacht ganz leicht, beflügelt, zauberhaften Dingen entgegenzitternd. Sie bot ihm ihre Lippen — und schrak zurück, ehe er sie berühren konnte. Es war finster, unter ihnen glühte geisterhaft das Meer. Er sagte in einem Schauer, mit geschlossenen Augen:
„Ich wollte, Yolla, du thätest es.“
Da gab sie ihm das Gift, in einem Kusse.
∗ ∗
∗ |
Am Morgen kam ein Billet von Rustschuk: Slicci sei von seiner Tournse im Auslande zurück; er sei unerhört. Sie fuhr sofort nach Neapel. Slicci hatte nichts für sich als seine burlesken Schmutzereien und eine hahnenmäßige Männlichkeit.
Als Rustschuk sah, daß sie Slicci ohne weiteres zu ihrem Geliebten machte, fragte er sich in großer Unruhe:
„Noch gemeiner kann ihr Geschmack doch wohl nicht werden? Also käme ich gar nicht mehr dran? Denn sie wird mich unmöglich gemeiner finden als Slicci. Vielleicht doch … Hoffentlich doch!“
Und gläubig wie er war, richtete er die Bitte an [ 274 ]seinen alten Gott, die Herzogin möge ihn noch gemeiner finden als Slicci.
Der Komiker schwitzte Abgefeimtheit. Er war ein kupferblonder Neapolitaner, häßlich, mager, ganz aus Nerven, und mit kleinen wässerigen Augen, die wild blicken konnten. Seine Behendigkeit erschreckte, und seine trockenen Gesten waren grausam bei aller Drolligkeit. Es entlud sich, sobald er wollte, eine eherne Stimme aus seinem engen Körper.
So lange er auf der Bühne des Varist6 stand, gefiel sich auch der Zuschauer in dem Gefühl rückhaltloser Verlumptheit. Er erschien als Bub in blauer Bluse, mit einem hölzernen Pferdchen, und sang von seiner Mama als von einem „sonderbaren Typus“. Sie verschwinde immer mit den Herren, Papa aber stehe am Büffet, esse, trinke, und lasse es gehen. Plötzlich riß der Bengel sein Pferdchen an der Leine herum, peitschte um sich, und biß sich dabei auf die heraushängende Zunge, während er fürchterlich nach seiner Nasenspitze schielte, die rot gefärbt war … Aber dann kam er in der Schirmmütze eines bleichen Schlingels vom „Schlimmen Leben“, und ließ den Pfiff hören, womit er der Dirne meldete, er warte an der Ecke und habe Lust, sich ihren Kunden zu besehen. Und die drei unheilvollen Noten, kalt hinstreichend durch die Reihen der aufhorchenden Bürger, verbreiteten grausiges Entzücken.
Die Herzogin behielt ihn bei sich. Sie brauchte ihn gegen die Schalheit einer Stunde, gegen eine Nacht voll Unrast, gegen den Ekel an dem was war, gegen [ 275 ]die Gedanken an das was bevorstand. Sie griff nach ihm, zu jeder Tageszeit, wie nach einem Ätherfläschchen. Er war ihr Laster; sie hing daran und fürchtete es. Denn es war alles was ihr blieb, und es sollte sie töten.
Eines Abends erlitt sie unter seiner Umarmung einen Blutsturz. Sie hatte vorher nichts bemerkt als leichten Schwindel.
Slicci verließ mit einem Satz das Bett und fuhr, sinnlos schreiend, im Zimmer umher. Schließlich fand er die Thür und rettete sich, mit seinen Unterbeinkleidern in der einen und seinen falschen Brillantknöpfen in der andern Hand.
Sie sagte sich, ein wenig betäubt von dem Ereignis:
„Nun ist es also so weit.“
Aber es schien ihr nicht, daß das irgend etwas ändern müsse. Am Morgen war ihr nicht einmal sehr schwach. Sie schickte nach Slicci; er war nicht da. Sie entbehrte ihn den ganzen Tag, wie die gewohnte Gabe eines Mittels zur Anregung der Nerven. Gegen Abend erfuhr sie, er sei abgereist, und zwar mit Lady Olympia, die gerade angekommen war. Es schien, daß sie in Slicci endlich den Mann getroffen hatte, den sie nicht zu schonen brauchte; und sie raubte ihn ihrer Freundin. Venus war eine eifersüchtige Göttin. Unter denen die ihr dienten, gab es keine Treue.
Die Herzogin fuhr sofort hinterdrein. Sie hatte einen einzigen Schrei der Enttäuschung und der Not ausgestoßen. Unterwegs dachte sie keinen Augenblick [ 276 ]an sich, an ihren Zustand, ihr Schicksal. Es beunruhigte sie auch keine Erinnerung an den Rausch, den der Entflohene ihr vermittelt hatte, und um dessenwillen sie ihm nachjagte. Sie hatte nichts vor ihrem Geiste, als ein Ziel, ein ungewisses.
In Rom forschte sie vergebens. Sie setzte Detektivs in Bewegung. In Mailand erfuhr sie bei einem Agenten, daß der Komiker, Italien verlassen habe. Sie durchquerte die Alpen. Drüben war es Spätherbst.
Sie fuhr, sie wußte nicht wohin. Sie lehnte in ihrem Coups und war erstaunt, einen großen Pelzkragen um ihre Schultern zu fühlen. Auf einer Station fragte sie Nana, ihre Kammerfrau:
„Ihr habt ja nicht gewußt, daß ich in kalte Länder reisen würde.“
„Prosper behauptete es. Er nahm alles mit.“
„Prosper?“
Sie wunderte sich. Sie war also nicht allein? Es dachte jemand an sie? Prosper, noch immer?
Sie ging den Spuren nach, die ihre Späher ihr zeigten, von einer Stadt zur andern. Am Ende sagte man ihr, das Paar habe sich nach Madeira eingeschifft. Ah! es mußte fchön dort sein, auf einer Insel mit ewigem Frühling.
Sie stand, nach dieser Auskunft, in einer Stadt nahe einem nordischen Meer, und ließ unschlüssig den Wagen warten. Um eine Kirche mit spitzen Türmen sauste ein eisiger Wind, so jäh, daß ihr schwerer Pelzkragen aufflog. [ 277 ]
Sie reiste noch weiter. Den Komiker hatte sie vergessen. Aber ein Ziel lag vor ihr, ein ungewisses. Sie wußte genau, hier kam etwas ganz Neues, etwas noch Unausgedachtes, wovor man nicht einmal Furcht haben konnte, so unfaßbar war es. Und in einer Spannung, die ihren Atem kürzer machte, saß sie steif aufrecht am Fenster und richtete ihr weißes, mageres Profil gegen die Haide, auf die es schneite.
Endlich sah sie es.
Der Zug hielt auf freiem Felde, denn das Geleise war mit Schnee überhäuft. Sie stieg aus und sah den Krähen zu, deren Flug in das Gestöber hinein Gestalten zeichnete. Es war nur eine Gestalt, und mit einem schwarzen Fluge kam es immer näher. Es grinste ihr zu, kalt und unentrinnbar.
Und in der Spanne eines einzigen Herzschlages zerrissen alle die gestickten Schleier, die ihr Geist jemals ausgespannt hatte vor dem Nichts. Kunst und Liebe, der Stolz auf eine freie Seele: alles flatterte auf. Alles zerstob vor ihren Augen: die Größe der Gebärden, die prangenden Formen, die Farben in ihrem Glanze, der Worte Pomp.
Sie fühlte sich nackt unter diesem Grinsen im Schnee. Sie öffnete, nach vorn geworfen, gebannt und angelockt, beide Handflächen, wie zu einem Willkommen. Und ein erstarrter Rest von den Tänzen einer Bacchantin war in den Grüßen, womit sie den Tod empfing.