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Page:Vulpius Historia Raetica.pdf/12

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Ganz anders gestaltet sich die Sache einem rätischen Urtext gegenüber. Hier haben wir die eigentliche und wahre Landessprache vor uns, wenn auch mehr und mehr von der deutschen überwuchert und in nicht allzu ferner Zeit von ihr ganz verdrängt zu werden bestimmt. Mag auch kein Einsichtiger sich solches verhehlen, so kann sich doch keiner, der für dergleichen aus der Urzeit stammende sprachliche Ueberlieferung Interesse hat, oder, noch tiefer eindringend, es wohl erwägt, daß das Erlöschen einer Sprache, gleichviel ob gewaltsam oder durch Einbringen und Ueberhandnahme eines fremden Sprachelements mit der Vernichtung einer Nationalität gleichbedeutend ist, eines wehmütigen Gefühls hiebei erwehren. Diese Empfindungen wird zum tiefen Schmerze und der Wunsch das Seinige dagegen beizutragen, bei jedem, der dieser ihrer Existenz bedrohten Nationalität angehört, zur heiligen Schuld. Gerade in diesem Jahrzehnt fühlen alle gebildeten Rätoromanen dieses lebhafter als je und glaubte man auch durch Gründung eines Vereins für rätische Sprache dieser Empfindung wohl kaum mehr als Worte leihen, am wenigsten aber dem überwiegenden Germanismus einen wirksamen Damm entgegensetzen zu können, so ist doch nicht zu läugnen, daß wann das unausbleibliche Verhängniß durch irgend etwas noch in seinem Gange aufgehalten werden kann, solches nur durch Pflege der Sprache und Hervorsuchen ihrer litterarischen Schätze geschehen kann.

Beide Punkte sind sehr ernstlich in das Auge zu fassen. Zum ersten gehört außer der Feststellung einer richtigen Schreibart, nach allen Regeln der Grammatik und Syntax, vor Allem die Reinigung der Sprache von allen Fremdwörtern, die sich diesseits der Berge in einer ganz ungerechtfertigten Fluth (denn die eigenen Worte brauchten nur hervorgesucht zu werden) eingenistet haben. Sind diese Eindringlinge entfernt, die verstoßenen Kinder des Hauses zu ihrem Rechte gelangt und die ganz verloren gegangenen durch andere ersetzt, was mit der Herausgabe eines vollständigen und kritischen Handwörterbuchs Hand in Hand geht, – so mögen Grammatiken für die beiden Hauptidiome die Regeln festsetzen, nach denen gesprochen werden soll.