Grundzüge einer tungusischen Sprachlehre
Vorwort.
Die Zahl der in Sibirien befindlichen Tungusen wird nach neuern statistischen Angaben[1] auf 35—40,000 Seelen beiderlei Geschlechts geschätzt. Davon rechnet man etwa 13,550 auf das jakutskische Gebiet, auf den Bezirk von Gishiginsk an 500, auf die Umgegend von Turuchansk im jenisseischen Gouvernement 1011 Seelen männlichen und 970 weiblichen Geschlechts (im J. 1840). Im Gebiet von Irkutsk finden sich Tungusen: 1) im Bezirk von Kirensk, namentlich auf dem linken Ufer der Lena (826 Seelen männlichen und 869 weiblichen Geschlechts); 2) in dem Bezirk von Irkutsk an den Ufern des Baikals und im sajanischen Gebirge (890 Seelen männl. und 816 weibl. Geschlechts); 3) in den nördlichen Theilen des Bezirks von Werchneudinsk (im J. 1840 1252 Seelen männl. und 1143 weibl. Geschlechts); 4) im Bezirk von Nertschinsk. Hier kommen sie vorzugsweise an folgenden Orten vor: 1) an der Ingoda, von ihrer Mündung bis nach Tschitá: auf einer Strecke von 250 Werst, namentlich an den links in die Ingoda fallenden Nebenflüssen Tamtscha und Altatscha; 2) rechts vom Onon, an dem altanschen Gränzposten bei der Festung Akschinskaja bis zur Gränzfestung Tschindantskaja, auf einer Strecke von 350 [ VI ]Werst; 3) an dem obern Lauf der in den Onon fallenden Turga, 150 Werst südlich von Nertschinsk; 4) an den Flüssen Kilanguja und Unda, die beide von der rechten Seite in die Ingoda fallen; 5) die Nertscha aufwärts bis nach Sjuljsinskoje, 70 Werst nördlich von Nertschinsk und an den Flüssen Olowa und Kurlytsch nordöstlich von Nertschinsk. Diese Tungusen sind sämmtlich dem urulginschen Steppengericht untergeben und beliefen sich im J. 1840 auf 5,579 Seelen männl. und 5,274 weibl. Geschlechts. Das Dorf Urulginsk, wo sich dieses Gericht, die Hauptverwaltungsbehörde der Tungusen, befindet, liegt 237 Werst westlich von Nertschinsk an der Mündung des Flüsschens Urulga in die Ingoda[2]. Unter den nördlich von dem Dorfe und jenseits der Berge belegenen Weideplätzen der Tungusen werden auch die der manjkowschen (bei Castrén manikowschen) Tungusen mit einer Zahl von 1,481 Seelen männlichen und 1,457 weiblichen Geschlechts angegeben. Auf den Karten aber wird Manjkowskaja in dem obern Flussgebiet des Gasimur, unweit des Flusses Turga, verzeichnet.
Die Bekanntschaft der nertschinskischen Tungusen machte Castrén auf seiner Reise von Kjachta nach Nertschinsk und namentlich während seines durch Fieberanfälle veranlassten Aufenthalts in dem Dorfe Tschitá. Als Frucht seiner Beschäftigung mit der Sprache dieser Tungusen hat er einige Hefte grammatischer und lexikalischer Aufzeichnungen für die Mundarten der urulginschen und manikowschen Tungusen hinterlassen, namentlich die Aufzeichnungen für die manikowsche Mundart als «ganz zuverlässig» bezeichnet, während das Heft, in welchem die urulginsche Mundart behandelt wird, hin und wieder Spuren davon enthält, dass es dem Forscher nicht vergönnt war die einzelnen Puncte einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen. Ueberhaupt war die Beschäftigung mit dem Tungusischen nur eine zufällige, die nicht in dem ursprünglichen Reiseplan lag. Bemerkenswerth bleibt aber vorliegende Arbeit als [ VII ]der erste grammatische Versuch für diese Sprache, für deren verschiedene Mundarten bis dahin nur verschiedene Wörterverzeichnisse vorhanden waren. Aus der Zahl derselben sind die im grossen vergleichenden Wörterbuch der Kaiserin Katharina die bemerkenswerthesten; die denselben zu Grunde liegenden Sammlungen und einige andere im Besitz der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften befindlich gewesene hat Klaproth in dem Verzeichniss der chinesischen und mandshuischen Büchern und Handschriften der Königl. Bibliothek zu Berlin (Paris 1822, I. S. 72—89) und dann in seiner Asia polyglotta (p. 286 und Atlas XLII) ausgebeutet. Sehr unbedeutend sind die von Adolph Erman in seiner Reise um die Erde (Erste Abth. B. 3. p. 58 folg.) gelieferten Wörterverzeichnisse. Es musste aber von dem grössten Interesse sein eine nähere Einsicht in den grammatischen Bau der tungusischen Dialekte zu gewinnen, um auf diesem Wege eine vergleichende Behandlung der Mandshu-Sprache zu ermöglichen. Leider beschränken sich Castrén’s Forschungen auf zwei einander sehr nahestehende Mundarten, die dem stärksten Einflusse des Burjätischen unterworfen sind. Dieser Einfluss äussert sich nicht nur in lexikalischer, sondern auch in grammatischer Hinsicht. Ist es uns auch bisher nicht vergönnt eine ungetrübte Einsicht in die grammatischen Verhältnisse des Tungusischen zu erlangen, so hat von der andern Seite eben der Einfluss des fremden Elements auf die Umgestaltung der Sprache manches Lehrreiche und besonders interessant sind die dem Tungusischen mit dem Burjätischen gemeinsamen Erscheinungen in der Laut- und Formenlehre. Es stehen aber die burjätisirten Dialekte des Tungusischen dem Mandshu immer noch nahe genug, um bei der Betrachtung der letztern Sprache mit Nutzen berücksichtigt zu werden. Es sei uns deshalb erlaubt einige Erscheinungen näher zu besprechen.
Sehen wir zuerst auf die Gestaltung der Wörter, so äussert das Mandshu eine gewisse Vorliebe zu zweisilbigen Wörtern, während das Tungusische dreisilbige darbietet; so entsprechen den tungusischen Wörtern araki, Branntwein, orokto, Gras, horokî, Auerhahn, [ VIII ]dawusun, Salz, dorokon, Dachs, buguti, bucklig, im Mandshu ᠠᡵᡴᡳ ᠣᡵᡥᠣ ᡥᠣᡵᡴᡳ ᡩᠠᠪᠰᡠᠨ ᡩᠣᡵᡤᠣᠨ ᠪᠣᡴᡨᠣ. Gegen die Auslautsgesetze des Mandshu hat das tungusische Formen wie alak, bunt, sâral, isabellfarben, wogegen das Mandshu ᡳᠯᡥᠠ und ᠰᠠᡵᠯᠠ bietet. Gegen die allgemeine Regel rücksichtlich der Bedeutung der harten und weichen Vocale (s. Schott, über das altaische Sprachengeschlecht S. 45, Kaulen, Linguas mandshuricae institutiones § 8) verstösst es, wenn wir atirkan in der Bedeutung «Greisin, Alte» finden, wogegen ätirkän den Greis bedeutet. Uebrigens wechseln die harten und weichen Vocale häufig in gleichbedeutenden Wörtern, z. B. arcânam, ärcä̂näm, empfangen, alkim, älkim, winken, taʒam, täʒäm, glauben, tawum, täwụm, laden. Häufig bietet das Mandshu die Endung -ŋgi dar, während im Tungusischen grössere Mannigfaltigkeit herrscht, z. B. ᠰᡳᠯᡝᠩᡤᡳ — śiläksä, Thau, ᡳᠯᡝᠩᡤᡳ — imụksä, Fett, ᠰᡝᠩᡤᡳ — sä̂ksä, Blut, ᠨᡳᠮᠠᠩᡤᡳ — imanda, Schnee, ᡤᡳᡵᡝᠩᡤᡳ — giramda, Knochen, ᠸᡠᠯᡝᠩᡤᡳ — hụläftän, Asche, ᡠᠨᡝᠩᡤᡳ — unä̂ra, wahrlich. In den Namen der Jahreszeiten findet sich im Tungusischen die Endung ni (ᵰi) statt ri: ᠨᡳᠶᡝᠩᡳᠶᡝᡵᡳ — nälkini, Frühling, ᠵᠣᡵᡳᡵᡝ — ʒugaᵰi, Sommer, ᠪᠣᠯᠣᡵᡳ — boloni, Herbst, ᡨᡠᠵᡝᡵᡳ — tụgäni, Winter; so auch ᡩᠣᠪᠣᡵᡳ — dolboni, Nacht.
Viel Bemerkenswerthes bieten die lautlichen Verhältnisse der tungusischen Dialekte sowohl unter einander als auch in Verbindung mit dem Mandshu dar. Besonders sind die Veränderungen des Anlauts hervorzuheben. Namentlich ist es das anlautende h, das mundartlich zu schwinden beginnt, z. B haga, aga, Tasse, halgan, algan, Fuss, halʒam, alʒam, sich schämen, häŋä, äŋä, breit u. s. w. Im Mandshu finden wir öfters f im Anlaut, wo das Tungusische dasselbe nicht hat oder statt dessen ein h darbietet, z. B. ᡶᠠᠯᠠᠩᡤᡡ — aliga, [ IX ]haŋa, Handfläche; ᡶᡝᡵᡝ — ärä, härä, Boden; ᡶᡳᡩᡝᠮᠪᡳ — hädäm, übersetzen; ᡶᡝᠮᡝ — hämụn, Lippe; ᡶᠣᡵᠣᠨ — oron, horon, Spitze, Scheitel; ᡶᡠᠯᡥᠠ — hologdan, Esche; ᡶᠣᠯᡥᠣ — aluka, Hammer. Aehnlich findet sich auch j im Anlaut von Mandshuwörtern, wo es im Tungusischen fehlt, z. B. ᠶᠠᠰᠠ — îsa, êsa, Auge. Ein anlautender Nasal von Mandshuwörtern schwindet häufig im Tungusischen, z. B. ᠨᠠᠮᡠ — amut, See; ᠨᡳᠮᠠᠩᡤᡳ — imanda, Schnee; ᠨᡳᠮᠠᠨ — imagan, Ziege; doch findet auch das umgekehrte Verhältniss Statt, z. B. ᡠᠨᠠᡥᠠᠨ — noŋokon, Füllen; ᠠᠪᡩᠠᡥᠠ — napći, Blatt; auch kann im Mandshu l statt des tungusischen n eintreten, z. B. ᠯᠣᠩᡨᠣ Halfter, im Tung. nokto; dieser Wechsel kommt auch sonst in den einzelnen Dialekten vor, z. B. namu, lamu, Meer; nama — lamahin (G.), warm. Auch fehlt im Tungusischen bisweilen der Guttural, den das Mandshu im Anlaut hat, z. B. ᡥᡠᡥᡠᠨ — ụkụn, Mütterbrust, Zitze; ? — ụnćụk, Axtrücken. In andern Wörtern, die mit einem Guttural im Mandshu anlauten, hat das Tungusische entweder den gutturalen oder den dentalen Nasal, z. B. ᡤᠠᠯᠠ — ŋâla, nâla, Hand; ᡤᡝᠯᡝᠮᠪᡳ — ŋä̂läm, nä̂lam, sich fürchten; ᡤᠣᠯᠮᡳᠨ — ŋonim, nonim, lang. Sowohl im Anlaut als auch besonders im Inlaut finden wir im Mandshu häufig einen Zischlaut an Stelle des tungusischen Gutturals oder Dentals, z. B. tirụksä — ᠴᡝᡵᡤᡠᠸᡝ, Fischrogen; timani — ᠴᡳᠮᠠᡵᡳ, morgen; tatim — ᡨᠠᠴᡳᠮᠪᡳ‚ lernen; atiga — ᠠᠴᡳᡥᠠ, Reitsack; kuduk — ᡥᡡᠴᡳᠨ, Brunnen; dilgan — ᠵᡳᠯᡤᠠᠨ, Stimme; igdim — ?‚ kämmen; gụdigä — ?, Magen. Umgekehrt ist es der Fall mit dem tungusischen Worte ʒida, Speer, wofür das Mandshu ᡤᡳᡩᠠ darbietet. Doch liegt bei dem Tungusischen vielleicht burjätischer Einfluss zu Grunde, wie auch in dem Worte ᵵergôlᵭi, Ameise, wofür wir im Mandshu ᠶᡝᡵᡥᡠᠸᡝ, finden. Im Inlaut geht s, wie im Burjätischen, dialektisch häufig in h über, z. B. sudasun, sudahun, Ader; âsinam, âhinam, schlafen; ᵭasam, ʒaham, ausbessern; mundartlich kommt aber auch hi, du, vor neben śi (si). Ebenfalls nur im Inlaut habe ich den [ X ]Wechsel von l mit j wahrgenommen, z. B. tungusisch kilarin, schiefäugig, wofür im Mandshu ᡥᡳᠶᠠᡵᡳ vorkommt. Im Anlaut kann m in n übergehen oder auch ganz wegfallen, z. B. tung. mäwan, mîwan, Herz — Mandshu ᠨᡳᠶᠠᠮᠠᠨ; mulkan — êlkân, 2jähriges Kalb; myrgyt — yrgaća, Verstand (S. 134). Zu den seltnern Erscheinungen gehört der Wechsel eines Gutturals mit einem Labial im Anlaut. Das Wort kilgä, Schleifstein, scheint mir mit dem mongolischen ᠪᠢᠯᠡᠭᠦ eins zu sein, wie ja ähnlich das jakutische булас, Klafter, mit قولاچ und von Schott a. a. O. S. 111 u. 145 balyk mit kala, Fisch, zusammengestellt worden ist; auch das jakutische кулат, Stahl, stammt vielleicht nicht von dem russischen укладъ, sondern steht in näherm Zusammenhang mit پولاد. Ein anderer sehr häufig vorkommender Wechsel ist der von g mit w, der vorzugsweise im Inlaut stattfindet, z. B. ụgim, ụwim, sich erheben; tâgu, tâwa, Dohle; tụgäni — ᡨᡠᠸᠠᡵᡳ, Winter; ʒugani — ᠵᡠᠸᡝᡵᡳ, Sommer; so verhält sich auch togo zu ᡨᡠᠸᠠ, Feuer; obwohl das ᠸ jetzt nicht mehr ausgesprochen wird; in den Nominalendungen -wun und -gun, z. B. igdiwun, Kamm, kojorgun, Kette; so auch putagon — putawun, Ei, s. S. 122; ferner ariwun, rein, das den mongolischen ᠠᠷᠢᠭᠤᠨ entstammt. Auch wechseln im Inlaut Gutturale mit j, z. B. bêga — ᠪᡳᠶᠠ, Mond; moko — ᠮᠣᠶᠣ‚ stumpf.
Ziemlich häufig fällt ein im Tungusischen vorhandenes r im Inlaut von Mandshuwörtern fort, wobei der nächstfolgende Consonant, wenn er ein gutturaler ist, in einen Zischlaut übergeht, z. B. gärbî — ᡤᡝᠪᡠ, Name; urkä — ᡠᠴᡝ, Thür; urgä — ᡠᠵᡝ, schwer; nurka — ᠨᡠᠵᠠᠨ, Faust; bargîla — ᠪᠠᠵᡳᠯᠠ‚ jenseits; so auch gurgekla — goʒakta (s. S. 120), Bart. Dem zunächst steht das Ausfallen von l, z. B. nilcarin, nicarin, niedrig; turlâki, turâki, Krähe; dolboni — ᡩᠣᠪᠣᡵᡳ, Nacht. Sowohl für r und l bietet auch das Burjätische manche Beispiele des Ausfalls. Es fallen im Mandshu aber auch andere Consonanten fort, namentlich gutturale, z. B. [ XI ]hụktäm — ᡶᡠᡩᡝᠯᡝᠮᠪᡳ, auftrennen; śigdilä — ᠰᡳᡩᡝ, Zwischenraum; igdim — ᡳᠵᡝᠮᠪᡳ‚ kämmen; aber auch andere, z. B. ʒapkun — ᠵᠠᡴᡡᠨ, acht.
Wenn Schott a. a. O. S. 21 behauptet: «Unter den tungusischen Stämmen haben, so scheint es, nur die Mandshu’s einen langen Selbstlauter u. s. w.» so beruht diese Ansicht hauptsächlich auf den bisherigen mangelhaften Wörterverzeichnissen, welche der Mehrzahl nach ursprünglich mit russischer Schrift und das zu einer Zeit niedergeschrieben worden sind, wo man sich um die Quantität barbarischer Silben wen:g kümmerte. Ein flüchtiger Blick in vorliegende Grammatik wird sehr bald reichliches Zeugniss für das Vorhandensein langer Silben im Tungusischen ablegen. Eine andere Frage ist die über die Zahl der tungusischen Vocale. Castrén kennt von den getrübten Vocalen nur ä und kein ö; vielleicht ist dies eine Eigenthümlichkeit der burjätisirten Tungusen. Denn sowohl Middendorff als auch Gerstfeldt, deren Wörterverzeichnisse in der Beilage mitgetheilt werden, bieten mehrmals ö dar, und namentlich behauptet Middendorff es ganz deutlich von den Tungusen sowohl an der untern Tunguska als auch an der chinesischen Gränze gehört zu haben. Die Schriftsprache der Mandschu stände auf Seiten Castrén’s, doch hat Gerstfeldt in seinem Wörterverzeichniss von den Mandshu’s an der Songari-Mündung wenigstens ein Wort töhi, vierzig, mit ö. Auch unterscheidet die Schriftsprache nicht zwischen dem geschlossenen u (ụ) und dem offenen, aus o entstandenen (u), sondern hat für beide nur ein Zeichen ᠣ. Das geschlossene u geht übrigens in den einzelnen Dialekten häufig in i über, z. B. nụŋụn — ᠨᡳᠩᡤᡠᠨ, sechs; ᡨᡠᠩᡤᡝᠨ — tiŋän, Brust; ᡨᡠᡥᡝᠮᠪᡳ — tikim, fallen; ᡩᠣᠶᡳᠨ — digin, vier; das Fremdwort nụgụl, nigụl, Sünde u. s. w. Auch scheint ildä, das in der Bedeutung «Leib, Körper» aufgeführt wird, im nächsten Zusammenhange mit ụldä, Fleisch, zu stehen. Dass u (oder ụ) auch in e übergehen könne, sehen wir aus Beispielen, wie umun — [ XII ]ᡝᠮᡠ, eins; ụgim, ụwim — ᡝᠪᡳᠮᠪᡳ‚ sich satt essen; hụjä, ụjä — ᡶᡝᠶᡝ, Wunde; ụrụgụn — ᡶᡝᡵᡥᡝ, Daumen u. a. m. Ueber den häufigen Wechsel von o und u brauche ich nicht weiter zu sprechen.
Das Angeführte wird genügen, um auf die grosse Wichtigkeit der Durchforschung der tungusischen Dialekte aufmerksam zu machen und um die vorliegende Arbeit als Ausgangspunct fernerer Untersuchungen hinzustellen. So manches, was Castrén in aller Eile gesammelt hat, wird in Zukunft entweder seine Bestätigung oder eine Berichtigung erfahren. Hauptsächlich aber müssen die fremden Einflüssen fernerstehenden Tungusensprachen näher untersucht werden.
Ich habe es zweckmässig erachtet, die schon mehrmals erwähnten Wörtersammlungen Middendorff’s und Gerstfeldt's sammt ältern, von dem jetzt hochbetagten Spassky herrührenden, in einer Beilage mitzutheilen. Ebendaselbst haben auch die von Middendorff niedergeschriebenen Sprachpröben ihren Platz gefunden. Wiewohl das Mitgetheilte nicht von Linguisten herrührt und offenbare Spuren davon an sich trägt, so enthält es doch so manches, was einer Beachtung werth ist. Die Auffassung der einzelnen Laute ist manchen Schwankungen unterworfen. Zu bemerken ist namentlich, dass der zwischen c, ᵵ und ć schwankende Laut von Middendorff und Gerstfeldt wie ein c, d. h. wie ein mouillirtes c aufgefasst worden ist, und ebenso auch der zwischen ʒ, ᵭ und ʒ́ schwankende Laut als eine Mouillirung von ʒ, was ich der Gleichformigkeit wegen durch c' und z' anzudeuten gesucht habe. Was das Stoffliche dieser Verzeichnisse betrifft, so hat jedes derselben seine Eigenthümlichkeiten. Höchst sonderbarer Weise liefert das Spasskysche Verzeichniss auch eine tungusische Uebersetzung einzelner grammatischer Ausdrücke, z. B. Nominativ garbi garbinin oder garbi garbitinᵰe, Genitiv baldy baldikićin (baldikiᵰe), Dativ buʒ́eek buʒ́e kićin oder buʒ́eri buʒ́e kićin, Accusativ buru ikanin oder buru ikaniᵰe, Vocativ arikićitin oder arikain, arikićin, Instrumental nikakićin oder nikakićiᵰe, Präpositiv (предложный) ʒulgin nakićin oder ʒulgitiᵰe nakićiᵰe, [ XIII ]Plural agᵭy kićitin oder agdy kiciᵰe, Prädicat ulgun ulgućanin. Nicht unbemerkt darf es bleiben, dass in den Verzeichnissen Spassky’s häufig g statt ŋ, und ź statt ʒ oder ʒ́ gebraucht zu sein scheint. In den Verzeichnissen Middendorff’s interessiren besonders die verschiedenen Namen, welche dem Bären, dem Alten des Waldes gegeben werden. Sie stimmen theils zu den von Castrén aufgezeichneten, namentlich amurâka, amiku (bei Castrén amîkan) was offenbar auf ama, Vater, zurückgeht; nur bei Castrén finden wir ätirkụ, der Alte, was an die Auffassungen anderer Völker erinnert (s. meine Bemerkung im Bulletin histor. phil. T. XII. Sp. 287 = Mélanges asiatiques T. II. S. 488). Euphemistisch ist wohl auch nakitai, naketa, was auf naka, gut, zurückgeht, vielleicht schliesst sich daran auch kuti, das mit kutu, Glück, zusammenhängen könnte. Mehr auf einzelne Merkmale des Bären gehen koŋnoᵲa, der Schwarze, und ućikan offenbar von ućiki, schief. Der Name ŋaleŋa (bei Spassky galga) hängt wohl mit ŋâla, Hand, Arm, zusammen, woran sich auch säpcä̂kụ (von säpkänäm, packen) anknüpfen liesse. Ob bákaja mit bakam, finden, zusammenhängt, lässt sich schwer bestimmen. Bei den Tungusen am ochotskischen Meere hat Middendorff die Namen des Kalbes nach den verschiedenen Jahren aufgezeichnet: ein einjähriges ognokan (sognaća, ein kleines), ein zweijähriges mulkan (êlkân K.), ein dreijähriges iktänö (von ikta, Zahn, wie im Jakutischen ті̄с von ті̄сын̨ас, Zahn; s. Böhtlingk, Jak. Wörterbuch S. 105), ein vierjähriges ᵰorkan, ein fünfjähriges amarkan (mośuran K.), ein sechsjähriges ᵭunteran (nigući K.). Ferner bietet Middendorff auch die Monatsnamen derselben Tungusen; die Aufzählung beginnt (ob zufällig?) mit dem Mai. Diese Namen sind: orokto, Mai, gorbiägen, Juni, oldromorin, Juli, irkin, August, bilän, September, ićân, October, mirö, November, sonnaja, December, me-mirö, Januar, me-ićân, Februar, bilän, März, bukru, April. Eigenthümlich ist es, dass die Namen von dem September an einzelnen Gelenken des menschlichen Körpers entnommen sind; namentlich bezeichnet Middendorff bilän als Handgelenk, ićan als Ellnbug, mirö als Schultergelenk, sonnaja als Kopfgelenk; so dass die Monate von September bis December in [ XIV ]aufsteigender Reihe nach den Gelenken benannt sind und zwar, einer Andeutung zu Folge, nach denen der linken Seite; Januar bis März dagegen in absteigender Reihe nach den Gelenken der rechten Seite, wobei wahrscheinlich auch me-bilän zu schreiben sein wird. Der Name bukru für April steht vielleicht mit buksu, Hintern, in Zusammenhang. Des Name des Mai’s bezieht sich auf Gras, der des Juli aber besteht aus Fisch (oldro) und Pferd (morin), was an ähnliche Zusammensetzungen anderer ostasiatischer Völker erinnern könnte, sich jedoch wahrscheinlicher auf besondere Verhältnisse des nomadischen Haushalts bezieht; die Namen für Juni (gorbiägan) und August (irkin) muss ich unerklärt lassen. Gerstfeldt hat ausser den in der Beilage mitgetheilten Wörtern auch die Fingernamen aufgezeichnet. Sie lauten: urugun, der Daumen, onaxan oder ćurućo, der Zeigefinger, dolgu, der Mittelfinger, ćerapki, der vierte Finger, ćemitki (gaiaksa), der kleine Finger. Der zweite Name des Zeigefingers stimmt zu ᠵᠣᡵᡳᡵᡝ ᠰᡳᠮᡥᡠᠨ, auch der Mittelfinger steht dem ᡩᡠᠯᡳᠮᠪᡳ nahe; im Namen des vierten Fingers wittere ich das Wort gärbî, Name, so dass uns auch hier wie im Mandshu ᡤᡝᠪᡠ ᠠᡴᡡ und vielen andern Sprachen (s. Pott, Zählmethode S. 284) ein namenloser Finger vorläge. Der Name des kleinen Fingers ist mir nicht deutlich und stimmt nicht zu ᡶᡳᠶᠠᠩᡤᡡ das der Sanskritauffässung कनिष्ठा (s. Pott, S. 285) am nächsten steht[3]. Ferner theilt Gerstfeldt auch einige Sternnamen mit. Das Siebengestirn, der grosse Bär, heisst faula (hauwlen), wofür Middendorff ywlyn und owlyn darbietet; vielleicht steht diese Bezeichnung in Zusammenhang mit ᡶᠠᠯᠠᠨ, Weiler (von 10 Häusern). Der bei den nertschinskischen Tungusen vorkommende Name [ XV ]tôki, Elenthier, schliesst sich einer auch anderswo vorkommenden Anschauungsweise an (s. das Vorwort zu den samojedischen Wörterverzeichnissen S. XIX); ebenso findet man aber auch säktäwụn, Bett, was der jakutischen Auffassung (s. Böhtlingk u. d. W. аран̨ас) und einer ähnlichen samojedischen nahe kommt. Auch der Name des Polarsterns xada schliesst sich ganz dem mongolischen an. Der Name der Plejaden, den sowohl Gerstfeldt als Middendorff urgöl schreiben, findet sich auch im Jakutischen (s. Böhtlingk u. d. W. ӱргӓl), lässt sich aber nur mit Hülfe des Mandshu erklären, wo das Sternbild ᡝᡵᡳᡴᡠ ᡠᠰᡳᡥᠠ, Besen-Stern, heisst. Andere Namen, die wir durch Gerstfeldt erfahren, sind elan osikta, drei Sterne, für den Adler, sará, der Stern α Lyrae (nach Kowalewski Mong. Wörterb. S. 1329 heisst im Mongolischen so α Tauri), xurakta, der Planet Jupiter, für den die Mandshu keinen einheimischen Namen mehr haben. Die Sternschnuppe heisst osikta fatalmein, was sich ganz dem Mandshu ᡠᠰᡳᡥᠠ ᡶᠠᠵᠠᠮᠪᡳ, stella cacat, anschliesst.
Schliesslich muss ich noch bemerken, dass die im tungusisch-deutschen Wörterverzeichnisse zur Vergleichung beigebrachten jakutischen, burjätischen, mongolischen und Mandshuwörter bei einer fortgesetzten Ausbeute der zum Theil freilich sehr mangelhaften lexikalischen Hülfsmittel leicht noch um eine beträchtliche Zahl vermehrt werden könnten. So manches könnte namentlich noch aus dem Mongolischen nachgetragen werden, z. B. mit arbî, seicht, hängt wohl ?‚ enthaltsam, mässig, zusammen; zu afsa, kleine Kiste, ist ᠠᠪᠰᠠ, Sarg, zu stellen; ilâhun, ilâsun, Fliege, ist das mong. ᠢᠯᠠᠭᠠ; ina, Stein, finden wir in ᠢᠩ, Mühlstein, wieder; ukân, Verstand, ist aus ᠤᠬᠠᠭᠠᠨ entstanden; usugui, Ferse, ist das mong. ᠥᠰᠦᠭᠡᠢ‚ wobei der Uebergang von ụ in u nach § 3 nicht befremden darf; mit kaltaka, Hälfte, ist auch ?‚ Hälfte eines Antheils, in Zusammenhang; kajuk verlautet in der Volkssprache ?; kanam, zu Ader lassen, ist das mongolische ?; kani, Gefährte, [ XVI ]steht dem mongolischen ᠬᠠᠨᠢ, Freund, wohl näher als dem beigebrachten Mandshuworte; konkor, Vertiefung, ist das mong. ᠬᠣᠩᠬᠤᠷ; garpam, mit dem Bogen schiessen, ᠬᠠᠷᠪᠤᠬᠤ; mit häŋä, äŋä, breit, ist ᠡᠩ‚ Breite, zu vergleichen; josor, oft, ist offenbar aus ?, nach Sitte, nach Gewohnheit, entstanden; tâgu, Dohle, ist ganz das mong. ᠳᠠᠭᠤ; tugar, unlängst, das mong. ?.
Das Sternchen (*), das sowohl in der Formenlehre als auch in dem Wörterverzeichniss vorkommt, bezeichnet mundartliche Varietäten.
A. Schiefner.
St. Petersburg, den 8. (20.) October 1856.
- ↑ Hagemeister, statistische Uebersicht Sibiriens (Статистическое обозрѣніе Сибири). St. Petersburg 1854. Theil II. S. 21 f.
- ↑ Parschin, die nertschinskischen Tungusen, im Journal des Ministeriums des nnern 1844. Theil V. S. 130.
- ↑ Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, dass der Zeigefinger im Mandshu auch ᠮᠣᠴᠣ ᠰᡳᠮᡥᡠᠨ, Sprechfinger, und ᡩᡝᡵᡥᡝ ᠰᡳᠮᡥᡠᠨ heisst, welches letztere, wenn es mit ᡩᡝᡵᡤᡳ identisch ist, den Zeigefinger als den hohen oder Oberfinger bezeichnen würde; der Name des vierten Fingers ist im Mongolischen auch noch ᠢᠳᠠᠮ ᠬᠣᠷᠣᠭᠣᠨ‚ was ans dem Tib. ཡི་དམ, Schwur, Gelübde stammt; der Name des fünften Fingers ᠰᡳᡴᡝᠵᠠᡳ hängt wohl mit ᠰᡳᡴᡝᡴᡠ, pissen, zusammen